Schandtat Numero 15
Vernon und Petunia Dursley, junge Eltern und ganz normal, waren froh gewesen, endlich mal eine Nacht durchschlafen zu können. Es war die erste seit vielen Monaten, da ihr Sohn Dudley immer Hunger hatte und mehr Fläschchen in der Nacht brauchte als andere Kinder. Als sie erholt aufwachten, und Vernon die Milchflaschen herein holte, lag noch etwas Anderes auf der Türschwelle - ein Baby!
Schlaftrunken sah Vernon sich um, aber er konnte niemanden sehen. Er zögerte einen Moment. Er hob das Baby auf und nahm mit der anderen Hand die Milch hoch. Dabei sah er das Kleine an. Ein hübsches Kind mit einer seltsam geformten Narbe auf der Stirn. Ein wenig zu dünn vielleicht. In seinen kleinen Händchen hielt es fest im Schlaf umklammert einen dicken Brief. Etwas verwirrt trug Vernon das Kind ins Wohnzimmer - schließlich war es kalt draußen - und legte es auf das Sofa. Er zupfte den Brief vorsichtig aus den Händchen und ging zu seiner Frau Petunia, die gerade ihren Sohn Dudley fütterte.
"'Tuni, auf unserer Türschwelle lag ein Kind mit diesem Brief. Kennst Du dieses Wappen?" Petunia sah das Wappen auf dem Umschlag und riss Dudley vor Schreck die Flasche aus dem Mund. "Ich kenne es und wollte es NIE wieder sehen!"
"UÄÄÄÄÄHHH!" begann Dudley sofort zu schreien.
"Hier, nimm Deinen unersättlichen Sohn und füttere ihn weiter", sagte Petunia und reichte Vernon den brüllenden Kleinen. Sie nahm den Brief und öffnete ihn. Je weiter sie las, desto mehr wich die Farbe aus ihrem Gesicht, bis sie schließlich das Schreiben sinken ließ und scheinbar völlig entkräftet auf das Sofa plumpste.
Die perfekte Lily, die hübsche Lily mit ihren roten Haaren und den leuchtend grünen Augen! Ihre wundervolle Schwester Lily, die ihre Eltern immer viel lieber gehabt hatten als sie. Die im wahrsten Sinne des Wortes "zauberhafte" Lily hatte es also geschafft. Sie hatte es geschafft, sich und ihren abartigen Ehemann umbringen zu lassen. Und nun hatte sie ihr, ihrer älteren und so wenig geliebten Schwester Petunia, auch noch etwas hinterlassen - ein Kind. Ihren einzigen Sohn, Harry Potter.
Petunia nahm noch einmal den Brief zur Hand und las die Unterschrift. Sie kannte dieses Gekrakel. Sie hatte es schon einmal gelesen, damals in dieser freundlichen, aber unerbittlichen und endgültigen Absage, als sie den Schulleiter der Schule für Hexenkraft und Zauberei angefleht hatte, sie auch in Hogwarts aufzunehmen. Albus Dumbledore. Ja, sie kannte diesen Namen, und sie wollte ihn nie wieder hören oder lesen müssen.
Petunia nahm noch einmal den Brief zur Hand und las die Unterschrift. Sie kannte dieses Gekrakel. Sie hatte es schon einmal gelesen, damals in dieser freundlichen, aber unerbittlichen und endgültigen Absage, als sie den Schulleiter der Schule für Hexenkraft und Zauberei angefleht hatte, sie auch in Hogwarts aufzunehmen. Albus Dumbledore. Ja, sie kannte diesen Namen, und sie wollte ihn nie wieder hören oder lesen müssen.
Das kleine Würmchen in dem Leinenbündel auf dem Sofa, das Vernon auf der Türschwelle gefunden hatte, begann zu quengeln. Petunia beäugte es angewidert wie einen großen, abstoßenden Käfer. Was sollte sie nun tun? Ihr erster Impuls war, sich das Bündel zu schnappen und irgendwo in irgendeinem Park oder an irgendeinem Krankenhaus auszusetzen. Sie hatte doch schon ein Baby! Was sollte sie mit noch einem, noch dazu dem Balg ihrer missratenen Schwester? Doch dann kam ihr in den Sinn, was die Nachbarn sagen würden, wenn sie sie mit einem fremden Kind sehen würden, oder noch schlimmer, was sie sagen würden, wenn sie sahen, wie sie es aussetzte. Nein, es gab keine andere Möglichkeit. Sie mussten diesen Harry Potter behalten und so lange wie möglich verstecken.
Das Baby ihrer Schwester wurde wach und fing an zu schreien. Petunia ging hin und sah es an. Sie fuhr zurück. Dieses Kind hatte Lilys Augen, das gleiche Grün! Sie wurde immer blasser und widerstrebend nahm sie es hoch. Niemand konnte verlangen, dass sie es behielt. Und woher sollte dieser Dumbledore es wissen, wenn sie es doch weggeben würde? Sie überlegte kurz und sagte sich dann, sie würde es probieren, ein paar Tage lang. Wenn es gar nicht ging, könnte sie noch immer tun, was sie wollte.
Harry hatte währenddessen immer weiter geschrien und den wieder eingeschlafenen Dudley geweckt. Nun schrien beide, und Petunia wusste nicht, was sie machen sollte. Vernon sah sie an. "Jetzt mach' doch was! Das ist ja nicht zum Aushalten!"
Petunia nahm Dudley und beruhigte ihn, während sie Harry halbherzig einen Schnuller in den Mund steckte und ihn auf dem Fußboden absetzte. Harry spuckte den Schnuller wieder aus, krabbelte zum Tisch hinüber und zog sich dort hoch. Er machte zwei Schritte auf Vernon zu, der im Sessel saß, und quiekte dabei vergnügt. Er blieb vor ihm stehen, hielt sich an der Hose von Vernon fest und verzog plötzlich das Gesicht. Vernon schrie Petunia an: "Nimm das Kind weg!" Doch bevor sie Harry erreichte, hatte dieser sich schon auf Vernons Schoß übergeben.
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Und dann geschah etwas, dass auf einen Schlag allen klar machte, dass sich hier etwas zutrug, das ganz und gar nicht normal war, selbst den nur schwer von begrifflichen Dursleys. Nicht nur hatte hier Vernon das Findelkind Harry gefunden und nicht Petunia, außerdem wurde in diesem Moment das Harry-Baby von einer riesigen Seifenblase erfasst, die gerade zum Küchenfenster hereingeweht war, und mit ihr durch den Kamin im Wohnzimmer hoch in die Luft gehoben. Das Baby juchzte und freute sich und ahnte nicht, in welch' großer Gefahr es schwebte, als es wild mit den Ärmchen und Händen gegen die Wände der Seifenblase hämmerte, während es langsam immer höher und aus dem Vorort von London hinaus getragen wurde.
Und während das Potter-Baby mit seinem seifigen Gefährt laut vor Freude quietschend und strahlend auf die von der Morgensonne funkelnde Themse zusteuerte, kam aus einer höheren Luftschicht ein mittelalter Hexenmeister namens Lord Abraham Ralf of Salisbury auf seinem Rennbesen angeflogen. Er war mit seiner Beute, einem großen, dicken Stein, wie es aussah, auf der Flucht vor einer ebenfalls bebesten Hexe, die nicht gerade freundlich hinter ihm her war und schimpfte.
Diese Hexe trug den wohlklingenden Namen Rosario Snape und war eine lang verschollene und noch länger totgeschwiegene Schwester eines Todessers namens Severus Snape, der in nicht allzu ferner Zeit den Posten des Lehrers für Zaubertränke an der Zaubererschule von Hogwarts antreten würde, auch wenn er es noch nicht wusste. "Ich kriege Dich, Du Schuft!" brüllte Rosa Lord Abraham zu und schüttelte beide Fäuste wütend in seine Richtung.
Gerade, als sich der Zauberer wieder von ihr weg nach vorne drehte, sah er die Seifenblase und mit einem leichten Schrei brachte er sie zum Platzen, und ein rosiges Baby mit auffallend grünen Augen plumpste ihm freudestrahlend und mit einem Laut des Entzückens in den Schoß. Er nahm die Hände vom Besenstiel, griff nach dem Kind und geriet prompt ins Trudeln. Und schon legte der Besen sich in einen bedrohlichen Sturzflug. Der Besen schlingerte, aber das Kind schrie nicht, es jauchzte vor Vergnügen. Er setzte es kurz entschlossen vor sich, und der Kleine hielt sich wie selbstverständlich am Besenstiel fest.
Rosario kam näher und höhnte: "Abraham, Du nimmst aber auch alles, was Dir vor die Füße fällt!" Sie brachte ihren Besen neben den ihres Gegners und versuchte, ihn abzudrängen.
Und wieder bockte Abrahams Besen und raste schließlich erneut in einem ungesunden Winkel auf die Landschaft tief unter ihnen zu. Erst Momente vor dem Aufprall gelang es Lord Abraham Ralf of Salisbury, wieder Kontrolle über sein Gefährt zu erlangen und eine einigermaßen sanfte Landung hinzulegen. Um seinen leicht verstauchten Knöchel würde sich demnächst ein Heiler kümmern müssen, jetzt hatte er jedoch Anderes zu erledigen. Er ließ den Besen zurück, schnappte sich stattdessen den Stein, den er unbedingt vor seiner Verfolgerin in Sicherheit bringen musste, und schließlich, wenn auch nach einem leichten Zögern, das Baby, das ihm auf so unerklärliche Weise in den Schoss gefallen war. Mit einem letzten Blick zum Himmel rannte er in Richtung Fluss. Der nächste Unterschlupf des Ordens des Phönix dürfte nicht allzu weit entfernt sein.
Die zu heilen beginnende Blitznarbe auf Harry Potters Stirn schien rot aufzuleuchten. Wieder schaute Abraham zum Himmel auf, aber von seiner Verfolgerin war keine Spur zu entdecken. Dann spaltete plötzlich ein greller Blitz eine Gruppe von Bäumen vor ihm und auf deren Überresten stand Rosa Snape mit einem gehässigen Grinsen auf den schmalen Lippen. Lord Abraham wich zurück und stöhnte auf vor Schmerz, denn er hatte sich vertreten, und sein Knöchel durfte nun endgültig verrenkt oder sogar gebrochen sein. An Flucht war nun nicht mehr zu denken. Er hielt den Stein in einer Hand und das Baby schützend auf dem anderen Arm.
Rosario Snape kam noch immer grinsend auf ihn zu, einen leicht irren Glanz in ihren schwarzen Augen. Das lange, schwarze und überaus fettige Haar hing ihr in Strähnen ins Gesicht. Eine besonders lästige Strähne, die sich auf ihrer Nase kräuselte, wischte sie hastig und zerstreut mit ihrem gezückten Zauberstab zur Seite, bevor sie ihn wieder auf Lord Abraham richtete.
"So, Du Verräter!" grollte sie in seine Richtung. "Die Stunde der Abrechnung ist gekommen. Du hast dem Dunklen Lord etwas genommen, was Dir nicht gehört. Ich werde ihm den Stein da in Deiner Hand wieder zurückbringen, ich allein. Und aus lauter Dankbarkeit wird er mich in den Kreis seiner Todesser aufnehmen. Und Dich wird er foltern, bis Du ihm alles über Dumbledores Grüppchen von Narren verrätst, die glauben, IHM Widerstand leisten zu müssen. Ich werde schnell einen der Todesser rufen!"
Das Baby auf Abrahams Arm quiekte vergnügt und streckte die pummeligen Stummelfinger der lustigen Tante entgegen, die immer noch mit ihrer widerspenstigen Frisur zu kämpfen hatte, jetzt aber bedrohlich ihre schlechten Zähne entblößte. Lord Abraham Ralf of Salisbury versuchte, das Kind fester zu halten, und musste, als es ihm nicht gelang, den mysteriösen Stein absetzen. Noch immer schien die Narbe auf Harrys Stirn zu glühen. Abraham betrachtete sie zum ersten Mal genauer. Konnte es sein? Konnte dies tatsächlich der schon jetzt berühmte Harry Potter sein, der Sohn von Lily und James Potter, der dem Gerücht zufolge dem Dunklen Lord ein vorläufiges Ende bereitet hatte? Waren die Gerüchte wirklich wahr? Wie dem auch sei. Rosa hatte auf jeden Fall noch nichts vom angeblichen Sturz ihres Meisters gehört, wie es aussah.
Abraham setzte Harry neben dem Stein ab, legte ihm die Händchen um das unansehnliche Ding und versuchte ihm mit Blicken zu verstehen zu geben, dass er dort sitzen bleiben solle. Dann drehte er sich wieder zu Rosa um.
"Hast in letzter Zeit wenig mit Deinem Bruder gesprochen, was, Rosa?" Er stemmte die Hände in die Hüften und ging auf sie zu. Er überlegte krampfhaft, wo er seinen Zauberstab gelassen hatte, aber in seinem Umhang und in seinen Hosentaschen war er nicht, also musste er ihn verloren haben. Er musste also versuchen, seine durchgeknallte Verfolgerin mit Worten zu bekämpfen.
Rosa hatte ihren eigenen Zauberstab hoch über den Kopf erhoben. "Ach, was soll der Geiz! Wahrscheinlich weißt Du gar nichts über Dumbledores Orden. Warum töte ich Dich eigentlich nicht gleich?"
"Weil Du bisher noch keinen Mord auf Deinem Strafkonto hast, Rosa. Und weil es für Voldemorts Anhänger in nächster Zeit ganz schön schwierig werden könnte, wie ich annehmen möchte!" startete Lord Abraham einen Ablenkungsversuch. Er hoffte so, so sehr, dass die Gerüchte wahr sein mochten.
"Wovon schwafelst Du denn da?" knurrte Rosa, ließ jedoch unmerklich den Zauberstab leicht sinken.
"Siehst Du dieses Kind?" Er deutete auf Harry. Rosa blieb stehen. "Dieses Kind ist der Grund dafür", fuhr Lord Salisbury gnadenlos fort, "dass Dein Meister geschwächt und verschwunden ist und dass jetzt alle Todesser auf der Flucht oder in den Untergrund gegangen sind, wenn man sie nicht längst nach Askaban verfrachtet hat! Bis auf Deinen geliebten Bruder Severus natürlich. Der hat nämlich die Seiten gewechselt und gehört jetzt zu Dumbledores Leuten!"
Was er hier tat und sagte konnte sein sicheres Todesurteil bedeuten, sollte der Dunkle Lord noch immer auf dem Weg zur Machtergreifung sein, das wusste Lord Salisbury nur zu gut. Aber was sollte es? Aufgeflogen war er spätestens nach dem Diebstahl des mysteriösen Steins. Außerdem hatte er keinen Beweis für das andere Gerücht, dass Severus Snape für den Orden des Phönix spionierte.
"Das reicht!" keifte Rosa und stieß ihn unsanft zur Seite. Sie schnappte sich das Potter-Baby und klemmte es sich wie einen Rugby-Ball unter den Arm. Dann spurtete sie los, ohne wirklich einen Plan zu haben, was sie mit dem Kind anfangen sollte. Sie erreichte ihren Besen und schwang sich in die Luft. Den wundertätigen Stein, den Lord Abraham Ralf of Salisbury aus Lord Voldemorts Hauptquartier gestohlen hatte, hatte sie in dem Durcheinander völlig vergessen. Nein! Nein! Nein! Das durfte nicht wahr sein! Nicht ihr über alles verehrter Dunkler Lord! Er durfte nicht fort sein.
Und plötzlich hatten sich die Rollen verkehrt. Plötzlich war Lord Abraham der Verfolger und Rosa Snape vor ihm auf der Flucht, denn er tauchte auf seinem Besen hinter ihr auf. Sie warf einen bösen Blick über ihre Schulter, zückte erneut ihren Zauberstab und warf Lord Salisbury mit einem gut platzierten Fluch von seinem Besen.
Dann düste sie mit dem Kind vor sich weiter durch den Morgen. Malfoy Manor war ihr Ziel. Die übrig gebliebenen Todesesser würden sich bestimmt dort treffen, um sich darüber zu beraten, wo ihr Meister, der Dunkle Lord wohl abgeblieben sein mochte. Wie sollte man sich jetzt verhalten? Die Auroren machten nun sicherlich gnadenlos Jagd auf Todesser. Sie betrachtete noch einmal das Kind, das ihr so unverhofft vor die Füße oder eher in die Hände und auf den Besen gefallen war. "Was soll's! Nehm' ich Dich halt mit, Kleiner!"
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Während Rosario Snape ihren Weg fortsetzte, rappelte sich der arg mitgenommene Salisbury mühsam vom Boden auf. Entsetzt warf er einen Blick auf die zersplitterten Einzelteile seines Besens. Mist, jetzt würde er auch noch apparieren müssen. Wie sehr er das verabscheute. Er verdrängte den Gedanken an die ihm bevorstehende Fortbewegungsweise und überlegte, was jetzt zu tun sei. Gut, er hatte den Stein. Aber er hatte den Jungen verloren. Da konnte ihm jedoch keiner einen Vorwurf machen, schließlich war er ja nicht zu dessen Hüter bestimmt. Wer hatte eigentlich diese Aufgabe? Und wer hatte darin so kolossal versagt? Und konnte es wirklich sein, dass so ein kleines Würmchen dem Todesfluch des Dunklen Lords widerstanden hatte? Das war seines Wissens nach noch niemandem geglückt. Und war das Kind aus der Seifenblase wirklich der "Auserwählte", von dem man sich schon einige Zeit zugeraunt hatte? Egal. Das Wichtigste war jetzt wohl, dem Phönixorden den Stein zu bringen und zu melden, dass ihnen der Junge abhanden gekommen war - und dass er sich in der Hand einer Anhängerin von Du-weißt-schon-wem befand. Mit diesem bitteren Gedanken machte er sich hinkend auf den Weg zu einer geeigneten Stelle, von der aus er zu seinem nächsten Ziel apparieren wollte. Mit jedem Schritt schmerzte sein Knöchel schlimmer und schien regelrecht aufzuschreien vor Schmerz.
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Zu gleicher Zeit beunruhigte Rosa, dass der Junge wild mit den Armen fuchtelte und ihre Balance störte. Da erst bemerkte sie den Zauberstab in seinen Händen. "Her damit!" fauchte sie das Kind an und zerrte den Zauberstab aus Harrys Händen. "Dafür bist Du noch zu klein und damit könntest Du eine Menge Unfug anstellen."
Sie betrachtete den Stab kurz. Also, ihrer war es nicht. Woher hatte das Blag ihn bloß? Dann dämmerte es ihr. Dies musste Lord Salisburys Zauberinstrument sein. Sah ihm ähnlich, diesem Verräter und Nichtskönner! Ließ sich seinen Zauberstab von einem Knirps wie diesem abnehmen. Rosario warf den Stab achtlos über die Schulter in die Tiefe hinter und unter sich.
Mittlerweile war sie vor Malfoy Manor gelandet und hastete mit dem Kind auf dem Arm in die Eingangshalle, in der sich eine erstaunlich große Menschenmenge befand. Rosario Snape hörte nur vereinzelte Wortfetzen. "Verschwunden..." - "Der Dunkle Lord..." - "Peter Pettigrew..."
Eine böse Ahnung beschlich sie. Konnte es wirklich wahr sein, was Lord Salisbury ihr gesagt hatte? Vielleicht sollte sie doch lieber erst mit ihrem Bruder sprechen. Denn Severus hatte mit Sicherheit nicht die Seiten gewechselt. Das Kind auf ihrem Arm wurde immer unruhiger und begann zu schreien. Das lenkte die Aufmerksamkeit der Todesesser auf Rosa und das Kind.
Lucius Malfoy, gefolgt von seiner Frau Narzissa, die einen kleinen blonden Jungen auf dem Arm hatte, traten auf sie zu. Lucius hob fragend eine Augenbraue. "Rosa Snape? Was wollen Sie hier?"
Rosa setzte Harry auf den Boden und wandte sich dann Lucius und seiner Frau zu.
Der kleine blonde Junge wollte schließlich auch vom Arm seiner Mutter runter, fing an zu quengeln und zappelte hin und her. "Draco hör' auf und benimm' Dich!" sagte Narzissa.
Draco machte aber weiter, schließlich wollte er seinen Willen durchsetzen. Narzissa gab dann endlich nach und setzte ihn ebenfalls auf den Boden. Beide Jungen sahen sich an, streckten sich gegenseitig die Zunge raus und krabbelten anschließend aufeinander zu. Keiner nahm Notiz von den beiden, und dadurch bekam auch niemand mit, wie Harry und Draco anfingen, sich an den Haaren zu ziehen.
"Ich muss sofort den Dunklen Lord sprechen!" verlangte Rosa währenddessen und versuchte, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Ob der Meister schon erfahren hatte, dass Lord Salisbury den Stein gestohlen hatte? Ob er sie dafür verantwortlich machte? Unauffällig sah sie sich um, die Versuchung unterdrückend, sich auf die Zehenspitzen zu stellen. Aber so sehr sie auch suchte, von dem, dessen Namen nicht genannt werden durfte, war keine Spur zu entdecken. Von Severus auch nicht. Würde man sie dafür bestrafen, dass sie uneingeladen an diesen Versammlungsort von Todessern gekommen war?
"Was ist das da auf dem Fußboden?" schnarrte plötzlich Lucius Malfoys kühle Stimme und seine hellen Augen waren auf das Kleinkind mit den schwarzen Haaren gerichtet, das sich da auf dem teuren Perserteppich mit seinem Sohn balgte. "Ist das... ?"
"Ach, der Wurm ist mir zufällig in die Quere gekommen. Lord Salisbury, der Verräter, sagte, es wäre das Pott... ." Noch bevor Rosa Snape sich auf die Zunge beißen und verfluchen konnte, dass sie immer noch zum Plappern neigte, wenn sie nervös war, zerriss eine neue, weibliche Stimme in einem schrillen Ton das unbestimmte Gemurmel in der Empfangshalle von Malfoy Manor.
"Das ist Baby-Potter!" Bellatrix LeStrange hatte sich einen Weg vom Fuß der großen Treppe durch die Menschenmenge gebahnt und starrte mit wild rollenden Augen auf den kleinen Jungen am Boden. Erschrocken nahm Rosa Snape den zappelnden Harry wieder auf den Arm. "Dieser Wurm ist schuld, dass unser Meister verschwunden ist! Wir sollten ihn ertränken, ihn vernichten, wie seine nutzlosen Eltern!"
"Das ist Baby-Potter!" Bellatrix LeStrange hatte sich einen Weg vom Fuß der großen Treppe durch die Menschenmenge gebahnt und starrte mit wild rollenden Augen auf den kleinen Jungen am Boden. Erschrocken nahm Rosa Snape den zappelnden Harry wieder auf den Arm. "Dieser Wurm ist schuld, dass unser Meister verschwunden ist! Wir sollten ihn ertränken, ihn vernichten, wie seine nutzlosen Eltern!"
Rosario Snape schluckte. Es war also wahr. Der Dunkle Lord war vernichtend geschlagen und verschwunden, und dieser Junge, der gerade freudestrahlend nach ihrer langen Nase zwischen ihren fettigen Haarsträhnen langte, war dafür irgendwie verantwortlich.
Ein lautes, eindringliches Klopfen an der Haustür ließ augenblicklich Stille einkehren und die anwesenden Personen erstarren. "Machen Sie sofort auf!" schallte es von draußen herein. "Wir sind vom Aurorenbüro ermächtigt, dieses Haus zu durchsuchen! Öffnen Sie ohne Widerstand!"
Sofort war die Luft in der Eingangshalle von drehenden Bewegungen und leicht knallenden Geräuschen erfüllt, und als Rosa sich wieder umsah, waren die meisten anwesenden Hexen und Zauberer verschwunden. Sie mussten disappariert sein.
"Lauf', Bella!" zischte Narzissa Malfoy ihrer Schwester Bellatrix LeStrange zu. "Du musst Dich verstecken. Wir werden versuchen, sie aufzuhalten!" Und schon war auch die dunkelhaarige Frau mit den schweren Augenlidern verschwunden.
Während Narzissa Malfoy ihren hellhaarigen Sohn Draco auf den Arm hob und wie ein Schutzschild vor sich hielt, zückte Lucius wie selbstverständlich seinen Geldbeutel. Er gehörte offensichtlich zu der Sorte Zauberer, die glaubte und mehr als einmal erlebt hatte, dass man sich aus vielen Schwierigkeiten herauskaufen konnte.
Die Haustür erzitterte währenddessen unter kräftigen Schlägen und Tritten.
"Und Sie!" brüllte Lucius derweil Rosa Snape an. "Machen jetzt endlich, dass Sie von hier verschwinden! Ich werde nicht wegen Abschaum wie Ihnen und diesem elenden Knirps nach Askaban gehen! Los jetzt! Disapparieren Sie auf der Stelle! Oder sind Sie eine Squib? Dann nehmen Sie Flohpulver und den Kamin da drin!" Schon hatte er sie ins Speisezimmer gedrängt und die Tür hinter ihr geschlossen.
Und noch während Rosa sich den grünen Flammen näherte, hörte sie, wie unter schweren Schritten und lauten Rufen die Auroren ins Domizil der Malfoys eindrangen. Rosa tat einen schnellen Schritt ins Flohpulver im Kamin und nannte undeutlich den ersten Ort, der ihr einfiel und halbwegs sicher erschien.
Da sie so undeutlich gesprochen hatte, landete sie zu ihrem nicht geringen Missfallen jedoch statt in einem Kamin in der Nokturngasse in einem in der Winkelgasse. Hastig verbarg Rosa das Kind, das inzwischen brabbelnd zu singen begonnen hatte, unter ihrem Umhang. Auch hier in der Hauptgeschäftsstrasse der Hexen und Zauberer in London wimmelte es von Auroren und auch Anhängern des Dunklen Lords, die versuchten, diesen mehr oder weniger unauffällig aus dem Weg zu gehen.
Gerade wurde ein tobender und schreiender Kobold aus Gringotts, der Zaubererbank geführt. "Eines Tages werdet ihr das alles hier bereuen!" brüllte er. "Nie wieder kommen glorreiche Zeiten wie die vergangenen! Ihr werdet Euch noch alle nach dem Dunklen Lord und den Geschäften zurücksehnen, die ihr unter seinem Schutz machen konntet!"
Rosa sah sich panisch um. Wohin jetzt? In den Tropfenden Kessel? Flourish & Blotts? Eeylops Eulenkaufhaus? Oder am besten gleich nach Askaban? Dies jedenfalls war kein guter Ort, um mit dem Jungen, der überlebt hatte, aufgegriffen zu werden.
Der einzige, der ihr jetzt noch einfiel, war ihr Bruder. Sie konnte und wollte nach wie vor nicht glauben, dass er die Seiten gewechselt hatte. Also apparierte sie mit dem Kind auf dem Arm nach Spinners End.
Severus Snape war arg erstaunt, plötzlich seine Schwester mit einem Kind auf dem Arm vor sich zu sehen. Rosario war erstaunt über die von dunklen Ringen umwölkten Augenränder ihres Bruders.
"Severus?" - "Rosa?" Gleichzeitig begannen die Geschwister das Gespräch. Während die Worte so hin und her flogen, hatten sie den Kleinen ganz vergessen. Bis... ja bis er mit weit aufgerissenen Augen zu Severus aufschaute. "Nein... nein...", stammelte dieser und wich entsetzt einen Schritt zurück.
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Kaum war Harry mit der Seifenblase durch den Kamin entschwebt, hatten die Dursleys sich sofort daran gemacht, ihre Sachen zu packen. Nun saßen sie in ihrem Auto und waren auf dem Weg zum nächsten Flughafen - unter Missachtung aller Geschwindigkeitsbegrenzungen. Endlich waren sie den Jungen wieder los. Und sie hatten verflixt noch mal nicht vor, ihn wieder aufzunehmen!
Petunia hatte ihrem Mann vom Leiter dieser Zaubererschule und der Forderung in seinem Brief mit dem protzigen Siegel-Wappen erzählt. Sollte dieser dumme, alte Zauberer - an diesem Wort erstickte er fast, auch wenn er es nur dachte - doch sehen, wo er den Jungen unterbrachte, überlegte Vernon Dursley.
Sollten sie doch einen anderen Platz für ihn finden, wo er sicher war. Sicher wovor überhaupt? So, wie sie es verstanden hatten, war dieser Lord doch tot. Wie auch immer. Die waren schließlich Zauberer, dachte Petunia Dursley, das letzte Wort mit aller ihr zur Verfügung stehenden Verachtung.
Hunger, dachte Dudley Dursley.
Sie wollten einfach nur weg, möglichst weit weg! Im Ausland werden sie uns nicht finden, dachte Vernon zuversichtlich. So schnell werden sie uns nicht finden, wenn wir nicht mehr zu Hause sind. Und wenn doch ... wie sollten sie uns dazu zwingen, ihn wieder zu uns zu nehmen? machte sich Petunia ihre Gedanken.
Hunger, dachte Dudley, dem bis jetzt noch nicht aufgefallen war, dass jemand fehlte.
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Währenddessen humpelte eine leicht zerlumpt wirkende Gestalt über die Hauptstraße eines Muggeldorfes fern von jeder Hauptverkehrsader. Es war ein Mann, und er zog den linken Fuß nach. Außerdem blutete er aus diversen Wunden, und sein langer, schwarzer Umhang flatterte an einigen Stellen zerrissen um seinen Körper.
"Hey, Du alter Vampir!" rief ihm ein rothaariger Muggel in blauen Latzhosen, der in seinem Vorgarten Laub fegte, zu. "Halloween ist vorbei! Außerdem haben wir hier genug Knoblauch und Kruzifixe im Dorf, um es mit einer ganzen Meute von Deiner Sorte aufzunehmen. Also mach', dass Du weiter kommst!"
Das war ja mal wieder typisch Muggel. Für die bedeutete schwarzer Umhang plus blasses Gesicht automatisch Vampir, den man mit Knoblauch und Kreuzen bekämpfen konnte. Sie hatten ja nicht die geringste Ahnung von tatsächlichen Vampiren. Und alles nur wegen einem durchgeknallten Iren und seiner Schauergeschichten um einen rumänischen Fürsten! Lord Abraham Ralf of Salisbury war sich nicht sicher, ob der Muggel sein Reden ernst gemeint hatte, und winkte nur ab.
Er kam auf den Dorfplatz, in dessen Mitte auf einem umzäunten Rasenstück auf einer Säule irgendein königlicher Kriegsheld aus längst vergangenen Tagen seinen Säbel siegreich in die Luft streckte. Abraham begann die Taschen seines Umhangs zu durchsuchen. Da war doch tatsächlich noch ein Stück seines Rennbesens, auf den er immer so stolz gewesen war. Den Rest hatte er auf dem Weg hierher unter einer Hecke vergraben. Irgendwo musste es doch sein. Da war sein Zauberstab, nahe der Mitte zersplittert, sodass er nur noch klägliche Funken sprühte, wenn er ihn benutzen wollte. Das nun nutzlose Ding, das er zuerst verloren hatte, war ihm dann buchstäblich aus heiterem Himmel gegen die Stirn geprallt bevor es auf dem Erdboden beinahe vollständig zerbrochen war. Aber auch den Zauberstab suchte er nicht. Und dann war da natürlich noch dieser mysteriöse Stein, wegen dem er in diesen ganzen Schlamassel hineingeraten war. Er würde ihn jetzt im Stützpunkt des Phönixordens abliefern, der ganz in der Nähe sein musste, dann würde er sich schnellstens einen Heiler suchen, der seinen Knöchel flicken und seine restlichen Wunden verarzten musste. Aber wo war dieses verdammte Pergament? Darauf hatte der Geheimniswahrer dieses Ortes, kein anderer als Albus Dumbledore persönlich, die genaue Adresse aufgeschrieben, ohne die es Lord Abraham unmöglich sein würde, den Unterschlupf zu finden.
Er hatte bereits mehrmals das Denkmal umkreist, als seine zittrigen Finger endlich das Schriftstück ertasteten, und zwar ganz weit unten in der hintersten Gesäßtasche. Und als er diesmal mit den Blicken der Richtung folgte, in die der steinerne Säbel der Statue zeigte, sah er einen halb verfallenen, mittelalterlichen Wachtturm, der vorher nicht da gewesen war. Das musste er sein, der geheime Stützpunkt des Phönixordens, jenes Zirkels von Hexen und Zauberern, die geschworen hatten, Lord Voldemort auf ewig Widerstand zu leisten. Lord Salisbury humpelte darauf zu, und noch bevor er den altertümlichen Türklopfer betätigen konnte, schwang die Eingangstür wie von Geisterhand nach innen auf. Abrahams Blick fiel auf eine gewundene Treppe, der er vorsichtig nach oben folgte. Er war noch nie hier gewesen.
Die kreisrunden Räume auf den ersten, unteren Ebenen des Turmes wirkten verlassen. Schutt und Trümmer lagen unter dicken Spinnweben und einer hohen Staubschicht. Als nächstes führte ihn die Wendeltreppe in einen Raum, der mit Stapeln von Kartons voll gestellt war. Irgendwie wirkte alles hier wie bei einem baldigen Auszug. Dann hörte er Stimmen aus einer der oberen Etagen.
Als er die Tür erreicht hatte, die nicht mehr als ein Spalt in der dicken Mauer war, konnte er in dem Raum dahinter eine streng blickende Hexe mit quadratischen Brillengläsern in einem smaragdgrünen Umhang erkennen, die ungeduldig zwischen ihrer Armbanduhr und der zweiten Person im Raum hin und her sah.
Aber die zweite Person kannte Abraham. Sie trug einen nachtblauen, bodenlangen Umhang, der über und über mit silbernen Mond- und Sternsymbolen bestickt war. Sein langer, weißer Bart und das weiße Haar wehten unablässig um ihn herum, während er eilig einige Gegenstände zusammenpackte.
"Minerva", sagte der alte, weise Zauberer. "Diese Instrumente brauche ich dringend in meinem Büro in Hogwarts. Seien Sie doch so gut und nehmen Sie sie für mich mit!"
"Wenn Sie meinen, Professor", erwiderte die Hexe mit dem schwarzen Haarknoten und dem ernsten Gesichtsausdruck und besah sich die storchenbeinigen Glasgefäße und Vorrichtungen genauer.
"Na, na, meine Gute!" lachte der Zauberer. "Kein Grund für ein solch ernstes Gesicht. Ich denke, es ist nun auch für uns an der Zeit, etwas zu feiern, dass wir den Dunkeln Lord Voldemort zumindest vorübergehend los sind!" Seine Augen strahlten blau hinter seinen halbmondförmigen Brillengläsern, behielten aber dennoch einen Rest Besorgnis zurück.
"Dann ist es also wahr?" platzte nun Lord Abraham Ralf of Salisbury heraus. "Der, dessen Namen nicht genannt werden soll, ist fort?"
Minerva McGonagall und Albus Dumbledore wirbelten zu ihm herum. Während Dumbledores Ausdruck nur einen Moment erstaunt und überrascht blieb und dann einem freudigen Erkennen wich, blieb Professor McGonagalls Blick weiterhin skeptisch und misstrauisch.
"Salisbury!" rief Albus Dumbledore aus und schüttelte Abraham freudig die Hand. "Was führt Sie zu dieser Zeit an diesen Ort? Minerva, Sie kennen Lord Salisbury, einen unserer ersten Spione in den Reihen von Lord Voldemort?"
Professor McGonagall nickte kurz, aber Dumbledore stellte die beiden einander gegenseitig trotzdem noch einmal offiziell vor.
"Und was tun Sie hier, Professor?" fragte Abraham. "Sieht danach aus, als würden sie dieses Versteck aufgeben."
"Sie haben es erraten, mein Freund", entgegnete der Schulleiter von Hogwarts. "Der Orden des Phönix hat vorerst seine Schuldigkeit getan. Der Tod zweier lieber, guter Menschen und ein ganz spezieller Zauber um einen kleinen Jungen haben dafür gesorgt, dass wir uns zumindest vorläufig keine Sorgen um den so genannten 'Dunklen Lord' mehr machen müssen. Das heißt, wir können uns wieder etwas freier bewegen und einige Stützpunkte des Phönixordens aufgeben. Aber ich sehe, ich muss Sie kurz auf den neusten Stand der Dinge bringen, Salisbury.
Voldemort ist verschwunden. Peter Pettigrew - ich hoffe diese Namen sagen Ihnen noch etwas, nach all der Zeit in den Reihen des Feindes - ist tot. Der junge Sirius Black wurde verhaftet. Bellatrix LeStrange und ihr Ehemann Rodolphus sitzen inzwischen ebenfalls in Askaban. Viele ehemalige Todesser sind auf der Flucht oder dabei, alle zu überzeugen, sie wären niemals Anhänger des Dunkeln Lords gewesen oder hätten unter einem Imperius-Fluch gestanden."
Voldemort ist verschwunden. Peter Pettigrew - ich hoffe diese Namen sagen Ihnen noch etwas, nach all der Zeit in den Reihen des Feindes - ist tot. Der junge Sirius Black wurde verhaftet. Bellatrix LeStrange und ihr Ehemann Rodolphus sitzen inzwischen ebenfalls in Askaban. Viele ehemalige Todesser sind auf der Flucht oder dabei, alle zu überzeugen, sie wären niemals Anhänger des Dunkeln Lords gewesen oder hätten unter einem Imperius-Fluch gestanden."
Lord Salisbury seufzte, kramte dann den mysteriösen Stein aus seinem Umhang hervor und hielt ihn vor sich in die Höhe. "Das hier ist der eigentliche Grund für mein Hiersein", begann er zu erklären, zweifelnd, ob es noch irgendeine Bedeutung hatte. "Es scheint ein wichtiges Artefakt für Vol... für Volde... für Voldemort zu sein." Auch nachdem der Schwarzmagier offenbar entmachtet und verschwunden war, fiel es Lord Salisbury noch immer schwer, ihn beim Namen zu nennen, dafür hatte er zu lange verdeckt in seiner unmittelbaren Umgebung spioniert. "Ich glaube nicht mal, dass es ein Stein ist. Vielleicht ist es sogar ein Drachenei oder etwas Ähnliches. Zumindest wurde es in den vergangenen Wochen schwer bewacht, und er machte immer ein ziemliches Theater darum. Und als er dann vor einigen Nächten zu seiner 'streng geheimen' Mission aufgebrochen ist, auf die ihn niemand begleiten durfte, habe ich die Gelegenheit genutzt und das Ding gestohlen, leider nicht unbeobachtet!"
Albus Dumbledore schob seine Brille auf seine Stirn und betrachtete den Stein genauer. Schließlich zog er seinen Zauberstab hervor, murmelte einige unverständliche Formeln und tippte das Ding leicht an. Knirschend fiel ein Fluch davon ab, und Lord Salisbury hielt mit einem Mal ein stinknormales Hühnerei in Händen.
"Ich fürchte, mein Guter", seufzte Dumbledore, "Ihr Artefakt war nichts weiter als eine Falle Voldemorts, um die Loyalität seiner Untergebenen zu testen. Und ich fürchte auch, dass Sie sich nicht mal mehr ein leckeres Omelette daraus machen können, weil es schon zu alt ist!"
Lord Abraham Ralf of Salisbury steckte das Ei enttäuscht und niedergeschlagen zurück in die Tasche seines Umhangs. "Und dafür habe ich meine Tarnung auffliegen lassen? Dafür habe ich alles riskiert? Es schien ihm so wichtig zu sein! Scheint so, als wären meine Tage als Spion nun endgültig vorbei!" murmelte er vor sich hin.
"Es ist schon mehr als erstaunlich, dass Sie sich so lange Zeit unbemerkt in seiner Umgebung halten und umschauen konnten!" beschwichtigte ihn Dumbledore.
"Er hat sich täuschen lassen von meiner Familie und ihrem 'guten' Namen, unserem reinen Blut und natürlich von unserem Vermögen, das ich ihm als Unterstützung für seine Zwecke zugesagt hatte", erklärte Abraham. "Nun, gut, dann war ich vielleicht wenigstens eine Zeit lang eine Unterstützung für die gute Sache. Dann werde ich wohl demnächst wieder meinen Job als Friedhofswächter antreten und die Muggel vor Vampiren und ähnlichen finsteren Gestalten beschützen, ohne dass sie es bemerken. Aber ärgerlich ist es schon, dass mich ausgerechnet eine Hexe, die beinahe ein Squib ist, erwischt und enttarnt hat. Rosario Snape!"
Als er an diesen Namen dachte, weiteten seine Augen sich vor Entsetzen. Was hatte Dumbledore gesagt? Ein Zauber um einen kleinen Jungen habe dazu beigetragen Lord Voldemort zu entmachten? Was war dran an den Gerüchten um den kleinen Potter-Jungen, der den Todesfluch mit nichts weiter als einer Blitznarbe überlebt haben sollte?
"Professor Dumbledore!" stieß er atemlos hervor. "Sie sagten ein Mann und eine Frau und vor allem ein kleiner Junge hätten den Dunkeln Lord entmachtet? Wo ist dieser kleine Junge jetzt? Hat er zufällig schwarze Haare, auffallend grüne Augen und eine blitzförmige Narbe auf der Stirn?"
Nun wurde auch Dumbledore wieder besorgt und unruhig. "Sie beschreiben ihn ganz gut!" sagte er. "Kennen oder kannten Sie die Potters und ihren Sohn Harry?" Salisbury schüttelte entsetzt den Kopf. Konnte das sein? Durfte das sein? Der Junge, der überlebte, in den Händen von Todessern und ihren Anhängern?
"Harry Potter sollte sicher im Haus seiner Tante und seines Onkels in einem Londoner Vorort sein. Wo haben Sie ihn gesehen, Salisbury?" Abraham schüttelte noch immer den Kopf. "Ich fürchte er ist nicht mehr dort!"
Dumbledore erhob die Stimme: "Minerva, nehmen Sie sofort Kontakt zu Arabella Figg auf! Sie ist eine Squib aus der Nachbarschaft der Dursleys, die ich gebeten habe, ein Auge auf Harry zu werfen. Bringen Sie in Erfahrung, was da los ist im Ligusterweg. Nehmen Sie das Flohpulver. Im Kamin nebenan müsste noch welches sein. Und Sie", fuhr er Salisbury an, "erzählen mir jetzt endlich, was genau passiert ist."
Während Minerva McGonagall in einem zweiten Raum auf dieser Ebene des Turms verschwand, erzählte Abraham Dumbledore die ganze, ziemlich kurze Geschichte von seiner Flucht aus einem von Voldemorts Verstecken mit dem vermeintlichen Wunderei, von seiner Verfolgerin, Rosario Snape, und wie sie ihn schließlich vom Himmel gehext hatte und mit dem Kind verschwunden war, das so plötzlich auf seinen Besen und in seinen Schoß gefallen war. Dumbledore hatte begonnen, besorgt und nervös im Kreis zu gehen.
Als Minerva McGonagall mit der beunruhigenden Nachricht, dass Harry verschwunden und die Dursleys mit Sack und Pack auf und davon waren, zurückkam, atmete der alte Zauberer tief durch und verkündete dann in strengem Ton: "Wir machen uns alle sofort auf die Suche nach Harry Potter. Wer weiß, was diese Snape ihm in ihrer Verehrung für Voldemort antun könnte. Und diese Dursleys müssen wieder her! Ich knüpfe doch nicht umsonst all diese Schutzzauber aus Familienbanden um ihr kleines Reihenhaus, nur damit sie sich aus dem Staub machen und ihren Neffen sich selbst überlassen. Ich werde den Phönixorden benachrichtigen!"
Bei seinen letzten Worten hatte Fawkes, der Phönix, der auf einem Kleiderschrank in einer Ecke geschlafen hatte, seine Flügel ausgebreitet, einen tiefen trompetenden Laut ausgestoßen und war in einer goldenen Stichflamme verschwunden, die einen bläulichen Schimmer auf Lord Abraham Ralf of Salisburys Netzhaut zurückließ.
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"Rosario! Rosa?" stammelte Severus Snape noch immer. "Wer, zum Teufel ist dieses Kind? Es hat ihre Augen! Ich sehe darin ihre Augen!"
Rosa Snape schüttelte ärgerlich den Kopf und gab ihrem großen Bruder einen Knuff gegen die Schulter, damit er wieder halbwegs zu sich kam. "Denkst Du immer noch an dieses dreckige Muggelmädchen? Womit hat sie das verdient, nachdem sie Dich hat fallen lassen, wie eine heiße Kartoffel für diesen Potter-Luftikus?"
"Nenn' Sie nicht dreckig! Nenn' sie nie wieder dreckig!" verlangte Severus und raffte hochmütig seinen Umhang enger um sich. "Und denk' immer daran, dass auch unsere Herkunft nicht über alle Zweifel erhaben ist!"
"Was nur an unserer dreckigen Mutter liegt, die sich mit einem Muggel einlassen und uns diesen schmutzigen Muggelnamen verpassen musste!" knurrte Rosa vor sich hin. "Wir sollten uns auch wahrhaft magische Tarnnamen geben, so wie der Dunkle Lord es getan hat. Namen, vor denen die Welt erzittert, und die niemand auszusprechen wagt!"
"Du redest totalen Unsinn, Schwesterchen!" begann Snape, bevor er von einem lauten Scheppern unterbrochen wurde. Baby Potter war auf dem Fußboden durch den Raum gekrabbelt, hatte einen gusseisernen Schirmständer umgeworfen und war nun dabei, ein niedriges Regal voller in stinkenden Flüssigkeiten eingelegter Tierpräparate und Zaubertrankpröbchen auszuräumen. Erste Glasscherben lagen bereits herum, und erste Rauchwölkchen stiegen aus dem schäbigen, alten Parkett auf.
Snape überwand den Schock und versuchte das Unheil zu begrenzen, während seine Schwester unqualifizierte Kommentare von sich gab. Langsam aber sicher lief sein Gesicht rot an, aber bevor er sich auf den kleinen Übeltäter stürzen konnte, hörte er eine Stimme aus der Küche. Noch bevor seine Schwester neugierige Fragen stellen konnte, drehte er ihr den Rücken zu und strebte der Küchentüre entgegen. "Kümmere Dich um DAS da!" blaffte er sie, auf Harry zeigend, an.
Rosa schnappte sich den Jungen. Sie dachte gar nicht daran, auch nur zu versuchen, das von Harry angerichtete Chaos wegzuzaubern. Statt dessen näherte sie sich der Küchentür, durch die ihr Bruder verschwunden war. Er hatte sie nicht richtig geschlossen, und ein kleiner Stups genügte, um sie ein wenig weiter zu öffnen. Rosa sah ein Schimmern, das ein Feuer im Kamin sein musste, und sie hörte bruchstückhaft die Stimme ihres Bruders: "... auch schon bemerkt? ... bei mir. ... weiß, was ich versprochen ... tun werde ... werde ... bringen ... keine Sorge! ... weiß, was meine Pflicht ist."
Was war da los? Stimmte es doch? War ihr Bruder ein Verräter am Dunklen Lord? Hatte sie nicht eben diese ihr so verhasste Stimme Dumbledores gehört? Als sie Schritte hörte, entfernte sie sich rasch von der Türe.
Snape kam in den Raum zurück und betrachtete missfällig die Unordnung, die er dann mit einem nachlässigen Schwenker seines Zauberstabes beseitigte.
"Jetzt gib' mir bitte den Jungen." - "Was hast Du mit ihm vor?" - "Ich werde ihn dahin bringen, wo er hingehört." - "Und wo wäre das?" Snape schwieg.
"Dann stimmt es? Du arbeitest jetzt für diesen Muggel- und Schlammblüterfreund Dumbledore?"
Noch immer gab Snape keine Erklärung ab. Statt dessen ging er noch einen weiteren Schritt auf seine Schwester zu und streckte die Arme nach dem Kind aus. "Gib ihn mir!" forderte er sie mit einigem Nachdruck erneut auf.
"Nein!" - "Was willst Du denn mit ihm?" - "Keine Ahnung. Aber wenn die ihn haben wollen, werde ich ihn ihnen nicht geben!" - "Sei doch nicht so dumm." - "Nenn' mich nicht dumm!" schrie Rosa aufgebracht. Sie konnte es nicht leiden, wenn man sie 'dumm' nannte oder auf ihre mangelnden Zauberkräfte anspielte. Ohne weiter darüber nachzudenken drehte sie sich um und rannte mit Harry aus dem Haus, um dann, kaum vor der Türe angekommen, zu disapparieren, bevor Snape auch nur reagieren konnte.
Wieder zum Stillstand gekommen, sah Rosa sich in der Gegend um, in der sie gelandet war. Es war ein kleines Wäldchen. Was sollte sie denn jetzt machen? Vor allem mit diesem verflixten, kleinen Potter? Grübelnd machte sie sich zu Fuß auf den Weg.
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Währenddessen waren Petunia, Vernon und Dudley noch immer auf dem Weg zum Flughafen. Vernon musste sich konzentrieren, da der Verkehr auf dem Zubringer ziemlich stark war. Petunia kümmerte sich um Dudley. Er hatte offensichtlich Hunger. Da sie aber so übereilt aufgebrochen waren, hatte sie seine Milch vergessen und versuchte, ihn mit einem nicht mehr ganz frischem Brötchen zu beruhigen. So beschäftigt bemerkte keiner von ihnen, dass sie seit geraumer Zeit von einem großen, rotbunten Vogel verfolgt wurden.
Schon kam der große Flughafen in Sichtweite. Gerade landete ein Flieger mit einem ohrenbetäubenden Lärm. "Vernon, Darling?" wandte sich Petunia nun an ihren Gatten, der mit puterrotem Gesicht und den weißen Fingerknöcheln der sich fest um das Lenkrad krallenden Hände vor sich auf die Straße starrte. "Dir ist bewusst, dass wir gar keine Flugtickets haben?" Vernon grunzte zunächst nur als Antwort.
"Und was ist mit Deinem guten Job bei Grunnings? Willst Du nie wieder Bohrer verkaufen in Deinem Leben?" Seine Antwort klang wie das Grollen einer Steinlawine in einiger Entfernung: "An Deiner Stelle würde ich langsam den Mund halten, mein Schatz! An wen waren denn bitte das Päckchen und dieser seltsame Brief gerichtet?"
Er trat hart auf die Bremse, und Dudley begann zu schreien aus Protest gegen den Lärm im Auto und den plötzlichen Stopp, aber hauptsächlich, weil hier offenbar niemand gewillt war, sein Hungergefühl zu beseitigen. "Ist meine Schwester etwa eine durchgeknallte, Du weißt schon was? Halst meine Schwester uns etwa ihr Balg auf? Nein, meine Schwester züchtet brav ihre Bulldoggen und bleibt die meiste Zeit dort, wo sie hingehört!"
Petunias Mund öffnete und schloss sich in stummem Protest, aber trotz mehr als entrüstetem Gesichtsausdruck blieb sie wortlos. Vernon Dursley polterte weiter: "Hast Du etwa noch nie was von LAST MINUTE gehört? Ich hoffe, der nächste Flieger, der noch Plätze frei hat, bringt uns weit, weit weg in den tiefsten Dschungel!"
Hinter ihnen begannen die ersten anderen Autofahrer wild zu hupen. Vernon seufzte auf, ließ den Motor, der bei seiner Bremsaktion aus gegangen war, wieder an und fuhr weiter in Richtung Flughafenparkplatz. Seinen quengelnden Sohn und seine empörte Ehefrau, die wie ein Karpfen tonlos nach Luft schnappend unentwegt den Mund öffnete und schloss, versuchte er nicht weiter zu beachten.
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Nachdem Albus Dumbledore mit Severus Snape im Kaminfeuer gesprochen hatte, wandte er sich zurück zu Lord Abraham Ralf of Salisbury: "Harry Potter ist im Haus von Severus Snape! Ich möchte Sie bitten, sofort dorthin zu apparieren und das Kind von dort zu holen."
Lord Salisbury fiel vor Schreck fast um. "Wie? Severus Snape? Der ist doch ein Todesesser! Und zu dem soll ich hin? Ich weiß gar nicht, wo der wohnt! Und mein Zauberstab ist kaputt." Dumbledore lächelte. "Spinners End, und glauben Sie mir, er steht auf unserer Seite! Hier, ich leihe Ihnen meinen."
Lord Salisbury schluckte etwas nervös. Aber wenn er gebraucht wurde, würde er natürlich seine Pflicht erfüllen. Und dennoch zierte Abraham sich noch etwas: "Aber, Professor Dumbledore, ich kann unmöglich Ihren Zauberstab nehmen! Das wäre ja, als würden Sie mir Ihren linken Arm anbieten, oder Ihr rechtes Bein!"
Plötzlich fiel ihm etwas ein. Hatte er nicht genau damit versucht, Rosa Snape aus dem Konzept zu bringen, mit der Behauptung, ihr Bruder sei ein Mann Dumbledores geworden? Gerüchte, das waren doch alles nur Gerüchte. Was, wenn dieser Snape nur so tat, als wäre er auf Seiten des Phönixordens? Was, wenn er ein gefährliches Doppelspiel spielte und in Wahrheit dem Dunklen Lord niemals abgeschworen hatte und es auch nie tun würde? Ein gefährlicher Doppelagent, wie er im Buche stand.
"Sie haben Recht, Salisbury!" verkündete Dumbledore und gab Abraham das Gefühl, er habe seine Gedanken gelesen. "Sie haben Recht mit all Ihren Bedenken, aber ich vertraue Severus Snape ohne Vorbehalte. Ich kann Sie nicht zwingen, das gleiche zu tun, aber ich bitte Sie zu respektieren, dass ich es tue. Und was den Zauberstab angeht. Dieser hier..." er wedelte mit dem schmalen, eleganten Instrument in seiner Hand, "ist selbstverständlich nicht mein eigener, schwer errungener, sondern einer aus den Beständen des Phönixordens. Sobald Sie Harry bei mir in Hogwarts abgeliefert haben, sollten Sie schleunigst Mister Ollivander in der Winkelgasse aufsuchen, damit er Ihren Zauberstab reparieren kann! Doch nun, auf zum Haus von Severus Snape. Ich denke, er erwartet Sie! Ich selbst sollte mal sehen, was mein Phönix gerade tut!"
Mit diesen Worten hatte er erneut das runde Turmzimmer verlassen und war noch mehr Stufen der Wendeltreppe nach oben gegangen, vielleicht auf eine Dachplattform.
Lord Abraham Ralf of Salisbury atmete tief durch, dann ging er und warf eine Handvoll Flohpulver in den Kamin. Wenn er schon Severus Snape gegenüberstehen und in die Augen schauen musste, dann auf keinen Fall nach dem ihm so verhassten Apparieren. "Spinners End!" sagte er laut und deutlich und umklammerte fest den neuen, ungewohnten Zauberstab. Noch während das Turmzimmer des Stützpunktes des Ordens vor seinen Augen verschwand, fiel sein Blick durch eine Schießscharte in der Außenmauer nach draußen. Die Abenddämmerung dieses kurzen und so stürmischen Herbsttages war gerade angebrochen.
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Rosario Snape stieß einen lauten, unflätigen Fluch aus. Gerade war ihr wieder ein knorriger Zweig ins Gesicht geschlagen, während sie sich mit Harry Potter auf dem Arm durchs Unterholz schlug. Wo, zum Beelzebub, war sie hier nur hin geraten? Das Wäldchen, in dem sie appariert war, war schnell immer dichter geworden, je weiter sie gekommen war. Die Bäume wurden zahlreicher, standen nun enger beisammen und wurden immer größer und verästelter. Auch das Gestrüpp zwischen den alten Baumriesen wurde immer undurchdringlicher. Den Himmel hatte sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen, von der Sonne ganz zu schweigen, was aber auch daran liegen konnte, dass der Abend herandämmerte. Es wurde immer kälter, vielleicht schneite es sogar über den blickdichten Baumkronen über ihr, aber wenn, dann würde es eine ganze Weile dauern, bis dieser Niederschlag den weichen und federnden Waldboden erreichte.
Ihr ohnehin nicht sehr ansehnliches Gesicht war schon völlig zerkratzt und zerschrammt. Ihr schwarzes Haar begann zu verfilzen und schien sich zu einem wahren Magneten für Kletten, vertrocknete Blätter und keine Zweige zu entwickeln.
Außerdem begann das Potter-Baby allmählich zu müffeln. Da hatte wohl jemand die Hosen voll, auch wenn es ihn vorerst nicht weiter zu stören schien. Der kleine Knirps sah sich mit wachen Augen im Zwielicht dieses Waldes um und kommentierte jede seiner neuen Entdeckungen mit lauten und freudigen Quiekern, wenn er nicht gerade unentwegt vor sich hin brabbelte.
Rosa hatte mehrmals versucht, an einen anderen Ort zu apparieren, aber entweder reichten ihre magischen Kräfte nicht aus – Hey, was verlangte man von ihr? Schließlich lag ihre Prüfung im Apparieren noch nicht allzu lange zurück! – oder es hatte sie an einen Ort verschlagen, auf dem ein Anti-Apparier-Zauber lag. Und irgendwie kam ihr dieser Wald seltsam vertraut und bekannt vor.
Und dann diese unheimlichen Geräusche, Vogelgezwitscher und Gekreisch, Geraschel und ab und an verzweifelte und unergründliche Schreie. Keine menschlichen Laute, so viel stand fest. Hinter jeder Ecke und jedem Busch schienen undeutliche Gestalten zu lauern und sie aus gierigen und leuchtenden Augen zu beobachten. Einmal war ein Rudel Hirsche vor ihr aus dem Unterholz gebrochen und über eine Lichtung getrabt, aber das waren auch schon die einzigen Lebewesen, die sie hatte identifizieren können. Dieser Wald musste vor magischen Tierwesen nur so wimmeln.
Hätte sie damals in der Schule in Hogwarts in PFLEGE MAGISCHER GESCHÖPFE nur besser aufgepasst. Vielleicht würde ihr das, was Professor Kesselbrand ihr damals hatte beibringen wollen, jetzt weiter helfen, zumindest gegen das flaue Gefühl im Magen im Angesicht des unsichtbaren Getiers, das um sie herum wuselte, das sie aber nicht sehen konnte. Wie sie durch die Prüfungen in diesem Fach gekommen war, war ihr noch immer ein Rätsel. Es war zwar bis zum Schluss eines ihrer Hauptfächer gewesen, aber sie, als Slytherin, hatte sich während des Unterrichts lieber über diese Ravenclaw-Streberin namens Wilhelmina Raue-Pritsche lustig gemacht und ihr üble Streiche gespielt, anstatt aufzupassen oder zu lernen. Rosa blieb stehen und stieß ein verächtliches Schnauben aus. An diese Raue-Pritsche oder 'harte Matratze', wie sie sie mit ihrer Bande aus fiesen Slytherin-Mitschülerinnen immer genannt hatte, hatte sie schon seit Jahren nicht mehr gedacht. Unglaubliche, neunmalkluge Besserwisserin!
"La!" nutzte Harry Potter die kleine Pause und jauchzte ihr laut ins Ohr. "Du mieser, kleiner...", brauste sie erschrocken auf, doch dann hörte sie mit einem Mal ein neues Geräusch, das vom Waldboden leicht gedämpft wurde, diesen aber auch rhythmisch erzittern ließ. Rosa legte Harry die grobe Hand auf den Mund und lauschte. Es klang wie das Trappeln von Pferdehufen.
Harry spitze die Lippen, pustete und ließ sie mit einem Brummen gegen Rosas Hand flattern, sodass diese sie verdutzt zurück zog. Harry warf die kleinen, kurzen Ärmchen hoch in die Luft und schrie freudestrahlend etwas, das wie "Hottehü!" klang.
Rosa drehte sich panisch im Kreis. Ihre Blicke huschten von einem Baum zum nächsten. Fast glaubte sie, Gesichter in der Rinde der Baumstämme um sich herum zu sehen. Lachende und schmerzverzerrte Fratzen. Hatten die alten Eichen und die Holunderbüsche vor wenigen Augenblicken auch schon einen so engen Ring um sie gebildet? Der ganze Wald schien mit einem Mal den Atem anzuhalten. Nur der Wind säuselte noch leicht durch das Geäst. Das vermeintliche Hufgetrappel verlor an Geschwindigkeit, schien dafür jetzt aber ganz nahe zu sein.
"Rosario Eileen Snape?" ertönte plötzlich eine sanfte, tiefe und zugleich strenge und bestimmte Stimme, die von überall und nirgendwo zu kommen schien. "Was tust Du in unserem Wald?"
Rosa erstarrte, während ihrer Kehle ein leises Wimmern entfleuchte. Wer auch immer das war, der da sprach, er kannte ihren vollen Namen. Hätte sie in ihrem Leben jemals Hilfe und Unterstützung von ihrer Hexenmutter erfahren, dann hätte sie spätestens jetzt nach ihr gerufen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so einsam und verlassen gefühlt und so viel Angst gehabt.
Harry Potter dagegen schien die Situation nicht das geringste auszumachen. Scheinbar hatte er schnell ausmachen können, aus welcher Richtung die geheimnisvolle Stimme kam. Er zeigte sogar auf zwei besonders gerade gewachsene Baumstämme, die nun säulengleich eine Art Eingang zu dem kreisrunden Plätzchen bildeten, auf dem sie standen. Er wippte aufgeregt auf und ab und schien zu versuchen, Pferdewiehern nachzuahmen.
Und tatsächlich erschienen zwischen den beiden Bäumen zuerst zwei schwarze Vorderhufe und Beine, dann der komplette Körper eines Rappen mit silbernem Schweif und ebensolcher Mähne. Doch anstelle der Brust und des Kopfes eines schwarzen Pferdes hatte dieses Wesen den muskulösen Oberkörper, die beiden Arme und den Kopf eines Menschen. Auf dem Rücken trug es einen Köcher mit Pfeil und Bogen und blickte Rosa und den kleinen Harry auf ihren Armen aus wilden und unergründlichen Augen von oben herab an.
"Antworte, Mensch!" verlangte das Tierwesen, als Rosa weiterhin nur ein klägliches Wimmern von sich geben konnte. "Was tust Du hier in unserem Wald? Du störst die Ruhe und das Gebiet der Zentauren!"
Zentauren, richtig. So hießen diese Biester. Professor Kesselbrand hatte oft genug über diese Gäule in PFLEGE MAGISCHER GESCHÖPFE geschwafelt. Und Wilhelmina 'harte Matratze' Raue-Pritsche hatte sofort angefangen über die Rechte dieser Kreaturen zu dozieren und die Verträge, die man mit ihnen schließen müsste, um sie freundlich zu stimmen. Gewäsch! Nichts weiter als unnutzes und sinnloses Geschwätz über die Gleichrangigkeit von allen Wesen und Geschöpfen unter der Sonne. Doch als sie jetzt zum ersten Mal in ihrem Leben einem leibhaftigen Zentauren, noch dazu einem so stattlichen, gegenüber stand, ergriff Rosa doch so etwas wie Ehrfurcht. Aber wenn das dort ein Zentaur war, bedeutete das nicht, sie war im... Wo war noch mal die einzige, noch freilebende Zentaurenherde Britanniens beheimatet?
"Wie ich sehe, bekomme ich so schnell keine Antwort von Dir, Rosario Eileen Snape. Also höre mir zu!" Der Zentaur schritt langsam näher, verschränkte die Arme vor der nackten Brust und begann sie und das Kind zu umkreisen.
Harrys Augen weiteten sich vor Bewunderung und Erstaunen. Außerdem schien er unbedingt das große Pferd mit der beruhigenden Stimme anfassen und zu ihm zu wollen, so sehr begann er auf Rosas Armen zu zappeln und sich dem Zentauren entgegenzustrecken.
"Mein Name ist Moonshadow, und ich bin ein Teil der Zentaurenfamilie, die ihr Zauberer gezwungen habt, im VERBOTENEN WALD auf dem Gelände von Hogwarts' Schule für Hexenkraft und Zauberei zu leben. Ich beobachte Dich schon eine ganze Weile, Mensch!"
Rosa zuckte unweigerlich zusammen bei dieser Anrede. Bei diesem Moonshadow klang 'Mensch' beinahe wie eine Beleidigung.
"Du, Rosario Eileen Snape, bist mit dem Jungen Harry Potter knapp außerhalb der Grenzen von Hogwarts und des VERBOTENEN WALDES appariert und dann immer tiefer hier herein und auf Zentaurengebiet geraten. Ich habe keine Ahnung, wie Du das beinahe unbemerkt und unbeschadet in so kurzer Zeit vollbracht hast, aber hier bist Du, im Herzen des Waldes. Und Du solltest nicht hier sein. Und Harry Potter, der Junge, der überlebte, der 'Auserwählte' sollte erst recht nicht hier sein. Nicht jetzt sondern erst in vielen, vielen Jahren. Seine Zeit ist noch nicht gekommen. Die Sterne sagen ihm ein anderes Schicksal vorher als dieses hier."
Was war denn das nun schon wieder? Dieses Gerede klang nun eher nach dieser merkwürdigen Libelle, die dann irgendwann WAHRSAGEN in Hogwarts unterrichtet hatte. Gleich würde dieser Gaul seine Teeblätter vor ihr auf den Boden spucken und seine oder ihre Zukunft daraus lesen. Oder die von Harry Potter vielleicht.
"Ich sehe Zweifel und Abscheu in Deinem Gesicht, Rosario Eileen Snape!" fuhr Moonshadow fort. "Ich weiß, dass Du nichts für Deine Erziehung und Deine Vorurteile kannst, aber glaube mir, was ich Dir jetzt sage, auch wenn die anderen Zentauren mich dafür verurteilen würden, dass ich Dir diesen Hinweis gebe."
Rosa konnte dem Blick des Halbmenschen kaum standhalten. Hatte sie zunächst noch so getan, als würde sie ihn angriffslustig und herausfordernd ansehen, so starrte sie nun eher auf den Waldboden zu ihren Füßen. Seine Worte verwirrten sie, schienen aber in ihrem Inneren auch etwas zu bewegen, eine ganz neue Saite in ihr anzuschlagen und zum Schwingen zu bringen.
"Ich kenne auch Dein Schicksal, Rosario Eileen Snape. Es ist nicht die Dunkle Seite, nicht neben dem Halbblut Tom Riddle, das sich selbst Lord Voldemort nennt. Und es ist ganz bestimmt keine Gräueltat an Harry Potter. Ich sehe Glück in Deiner Zukunft und einen Menschen, der Dir sehr viel bedeuten wird. Du kennst ihn bereits, aber noch nicht so, wie Du ihn noch kennen lernen wirst. Alles, was Du tun musst..."
Rosa horchte auf und war etwas erstaunt, denn sie wollte es wirklich hören, was der Zentaur zu sagen hatte. Er war ein wirklich magisches Wesen, voller Weisheit und Güte, auch wenn das leicht bedrohliche Aussehen und die Bewaffnung etwas Anderes sagen wollten.
"Nimm diesen Weg dort!" Rosa wirbelte herum. An der Stelle, auf die der Zentaur deutete, schienen sich die Bäume und das Gestrüpp tatsächlich gelichtet zu haben und einen schmalen gewundenen Fußweg freizugeben. Klar und deutlich lag er da, beschienen vom Mondlicht, das nun silbrig-weiß durch die Baumkronen fiel. Und Rosa hätte schwören können, dass dieser Weg zuvor noch nicht da gewesen war.
"Folge dem Pfad!" sagte Moonshadow noch einmal mit Nachdruck. "Er wird Dich zu einer Hütte am Waldesrand führen. Du wirst sie und ihren Bewohner kennen, denn Du warst ja selbst vor nicht allzu langer Zeit noch Schülerin in Hogwarts. Darin wohnt und arbeitet Hagrid, der Wildhüter und Bewahrer der Schlüssel von Hogwarts. Schildere ihm Deine Lage, Dein Anliegen, und er wird Dir Gelegenheit geben, Dich und das Kind zu reinigen, um Harry dann in die richtigen Hände übergeben zu können. Und beeile Dich. Bleibe auf dem Weg. Schau nicht zurück!"
Rosa Snape schluckte sichtbar. Bisher hatte sie nie das Gefühl gehabt, wie schwer es war, etwas hinter sich zu lassen. Allerdings hatte sie auch bisher nie etwas hinter sich gelassen und etwas völlig Anderes begonnen. Alles, was dieser Moonshadow gesagt hatte klang so hoffnungsvoll und schön. Ja, sie würde seinen Rat befolgen und tun, was er sagte.
"Und Du, Harry Potter!" Beinahe unbemerkt hatte der Zentaur sein Gesicht ganz nah an das des Babys gebracht. Harry lächelte glücklich und versuchte nicht mal, dem großen Mann in die Nase zu kneifen. "Werde groß, Harry Potter. Werde der, der Du sein musst, dann wird alles gut, Du mutiger, mutiger Kerl. Vielleicht sieht man sich noch einmal wieder, hier oder an einem anderen Ort!"
Wortlos deutete er noch einmal auf den mondbeschienenen Pfad, der in Schlangenlinien zwischen Bäumen, Büschen und Hecken hindurchführte, dann drehte er sich um und trabte majestätisch, mit im Mondlicht wehendem silbernen Schweif und ebensolcher Mähne davon. Kaum war der Klang seiner Hufe verschollen, setzten die anderen Geräusche des VERBOTENEN WALDES wieder ein.
Rosa drückte impulsiv den kleinen Harry ganz fest an ihr Herz. Dann machte sie sich auf den Weg in eine ungewisse, aber hoffentlich glücklichere Zukunft.
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Hagrid staunte nicht schlecht, als es an seiner Tür klopfte und eine völlig verwirrte und auch vollkommen zerlumpte Gestalt mit einem weinenden Baby vor seiner Hütte stand.
"Arrgh! Wo kommt ihr denn um diese Uhrzeit plötzlich her? Wer zum Kuckuck seid ihr und warum weint dieser Kleine da, auf deinem Arm?" dröhnte er.
Ein schwarzhaariger Saurüde, der noch ein kleiner verspielter Welpe war, steckte neugierig seinen Kopf aus der Tür. Hagrid stupste ihn an. "Aus, Fang! Wir haben anscheinend unerwarteten Besuch bekommen", brummte er und hielt einladend die Tür auf.
Mit zögerlichen und zittrigen Schritten trat Rosario vorsichtig in Hagrids Hütte. Die Augen blieben zum Boden gesenkt und verzweifelt versuchte sie, das Kind auf ihrem Arm zu beruhigen.
"Wird ja alles wieder gut", murmelte Hagrid. "Setz' Dich erst 'mal ans Feuer, und ich koch' uns einen Tee."
Doch bevor er sich an die Arbeit machen konnte wurde er von der noch unbekannten Person unterbrochen: "Mister Hagrid. Ich bin es, Rosario Snape. Ich glaube, dieses Kind hat Hunger. Könnte ich etwas warme Milch bekommen?"
Hagrid fiel vor Überraschung der große Kessel aus der Hand. Natürlich kannte er Rosario. Hatte sie nicht gerade erst vor ein oder zwei Jahren ihre Prüfungen in Hogwarts beendet? Und jetzt hatte sie schon ein Kind und befand sich offensichtlich in einer verzweifelten Situation. Nicht, dass er sie gut gekannt oder gemocht hatte. Das lag wohl auch daran, dass er nicht sonderlich gut mit ihrem Bruder Severus zurecht kam, der schon immer ein Sonderling gewesen war und ihn als Halbmenschen nicht eben gut behandelt hatte während seiner Schulzeit. Aber er hatte ein mitfühlendes Herz und dieses kleine Wesen da am Kamin, schien wirklich in den größten Schwierigkeiten zu stecken.
Er kramte in seinem Schrank und fand noch eine Dose Kondensmilch. Diese öffnete er mit seinen gewaltigen Pranken, schüttete etwas davon in einen Becher und verdünnte es mit etwas Wasser. Diesen Becher reichte er Rosario und setzte dann Teewasser auf.
Das Kind, das jetzt bei Rosa Snape auf dem Schoß saß, griff begierig nach dem Becher und mit der Hilfe von Rosario gelang es ihm auch, etwas von der Flüssigkeit zu trinken.
Hagrid blickte sich gerade in dem Moment um, als Rosa dem Kind mit ihrem zerlumpten Umhang durchs Gesicht putzte. Zum zweiten Mal ließ er den Kessel fallen und stürzte zum Tisch, um sich das Kind genauer anzusehen.
"Ab... Abba... Aber das gibt es doch gar nicht. Das ist doch Harry Potter! Wie kommt dieses Kind zu Dir?" Er machte Anstalten, den Knirps aus Rosarios Armen zu reißen, doch das kleine Wesen rollte sich gerade ganz gemütlich zusammen und schloss die Augen. Rosa blickte zu Hagrid auf. "Ich werde Ihnen alles erklären", begann sie und warf einen erstaunten Blick auf das schlafende Kind.
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Am Flughafen Heathrow stand Vernon Dursley unterdessen ärgerlich in einer Gruppe von Japanern, die alle gleichzeitig in radebrechendem Englisch auf die freundlich lächelnde Fluglinienmitarbeiterin hinter dem Tresen einredeten. Seit einer halben Stunde ging das nun schon so, aber trotz aller freundlicher Verbeugungen und Dauerlächeln auf beiden Seiten, schien man sich nicht so recht verständigen zu können, und es ging keinen Schritt vorwärts. Vernon starrte immer wieder ungeduldig auf seine Armbanduhr. An jedem Flieger, den er durch die hohen Terminalfenster zur Start- und Landebahn abheben sehen konnte, schien in großen, höhnischen Buchstaben geschrieben zu stehen: "DURSLEYS! DAS WÄRE EURE MASCHINE GEWESEN!"
"Ausländer!" knurrte er ärgerlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und behielt argwöhnisch das Gepäck der Familie im Auge, während er gleichzeitig versuchte, nach Petunia Ausschau zu halten. Die war vor einer halben Ewigkeit mit Dudley in einem Wickelraum verschwunden, um ihn trocken zu legen, und seitdem nicht mehr gesehen worden.
Oh, doch, da kam sie ja endlich, das Söhnchen auf dem Arm. Er hielt einen großen Schokoriegel in den kleinen Fäusten und mümmelte genüsslich daran herum, wobei er den Großteil der braunen Masse in seinem Gesicht und auf seinem T-Shirt verteilte. Auch Petunia wirkte nicht gerade entspannt. Mit misstrauischen Blicken auf die Menschen in ihrer Umgebung, versuchte sie, Kind und Handtasche gleichzeitig an sich zu krallen und sich einen Weg durch die Menge zu ihrem Gatten zu bahnen.
"Ver...?" wollte Mrs. Dursley gerade ihren Mann zur Rede stellen, warum er immer noch nicht an die Reihe gekommen war, als ein greller, goldener Blitz den gesamten Flughafen erstrahlte. Ein unheimlicher Moment der Stille trat ein, als alle geblendet um sich schauten, woher der Blitz und das laute Flügelrauschen wohl gekommen sein mochten.
Dann ertönte ein lauter, donnernder Zauberspruch, der alles nichtmagische Leben in ganz London und Umgebung, ja die Zeit selbst zum Erstarren und Stillstand brachte:
"TEMPUS SOLID!"
Ein glockenheller Gesang erfüllte die nun stille und bewegungslose Flughafenhalle, als Fawkes, der Phönix, einige Kreise über den Köpfen der wie in der Bewegung versteinerten Menschen flog und sich dann auf der großen Anzeigetafel niederließ.
Auch Albus Dumbledore, der Zauberer mit dem nachtblauen Gewand und der Halbmond-Brille auf der Nase, bahnte sich nun einen Weg durch die statuengleichen Muggel, auf der Suche nach der englischen Kleinfamilie, wegen der er dies alles hier veranstaltete, wegen der er diesen anspruchsvollen Zauberspruch ausgesprochen und die Zeit angehalten hatte.
Und da waren sie ja auch schon, inmitten ihres Gepäcks. Vernon Dursley war rot angelaufen, und seine Augen waren so weit aufgerissen, dass es wirkte, als würden sie jeden Moment aus ihren Höhlen fallen. Petunias Gesichtsausdruck glich dem von jemandem, der gerade versehentlich etwas sehr, sehr Saueres gegessen hatte. Dudley kniff die Augen fest zu und schwenkte mit offenem Mund seinen Schokoriegel durch die Luft.
"So, Dursleys!" meinte Dumbledore vergnügt, obwohl er genau wusste, dass sie ihn nicht hören konnten. "Gekniffen wird nicht! Ab geht 's nach Hause!" Erneut hob er seinen Zauberstab, richtete ihn auf die drei und sprach: "VINGARDIUM LEVIOSA!"
Die Dursleys erhoben sich samt ihren Koffern und Taschen, so wie sie waren, senkrecht in die Luft und blieben dort schweben. Dumbledore nickte seinem Phönix auf der stillstehenden Anzeigetafel zu und winkte ihn zu sich. "Ich könnte Deine Hilfe gebrauchen!" flüsterte er und streichelte Fawkes über die langen Federn am Hinterkopf, als dieser sich nun auf seiner Schulter niederließ.
Fawkes öffnete den Schnabel und stieß einen melodiösen Schrei aus, der von einem warmen Lufthauch begleitet wurde. Mit diesem Luftstrom blies er die Dursleys zum Terminal hinaus auf den Flughafenparkplatz.
Dumbledore kicherte übermütig, als er sagte: "Ich glaube, ich schnalle Euch auf den Dachgepäckträger!" Schon hatte er Seile herbeigerufen, die Vernon und Petunia mit Dudley auf dem Arm auf dem Dach ihres eigenen Wagens fest verzurrten. Auf einen Zauberstabwink hin öffneten sich die Autotüren, und Fawkes konnte das Gepäck der Dursleys ins Innere blasen oder singen oder was immer er tat. Dumbledore hüpfte beinahe übermütig um das Auto herum und schloss die Türen. Dann setzte er sich ans Steuer und betätigte die Hupe. Sie blieb stumm, denn auch sie war mit der Zeit erstarrt.
"Na gut, dann eben auf andere Weise!" sagte er zu sich selbst. "Ich wollte schon immer mal so ein Muggelgefährt fliegen. Surrey, Little Whinging, Ligusterweg, wir kommen!"
Nur Momente später erhob sich der Familienwagen in die Luft und schwebte lautlos über eine Welt, die mitten in reger Betriebsamkeit zum Stillstand gekommen war. Menschen, Tiere und Autos standen wie in voller Bewegung auf den Straßen, ja selbst der Wind und die Wolken am frühen Abendhimmel rührten sich nicht.
Dumbledore drehte eine Runde um einen Wolkenkratzer, an dessen Fassade gerade ein Fensterputzer auf dem Weg nach unten nach seiner Mütze langte, die eine Brise ihm vom Kopf geweht hatte. Der Zauberer kurbelte das Fenster herunter, fischte die Kopfbedeckung aus der Luft und setzte sie dem Mann wieder auf. Vorsichtshalber gab er ihm auch noch einen leichten Stoss, sodass er wieder einen sichereren Stand auf seiner Fensterputzergondel hatte.
"Ich hätte nie geglaubt, dass dieser Zauber so gut und weit reichend funktioniert!" raunte Dumbledore, sichtlich beeindruckt von dem Bild der Welt, das sich ihm bot. "Vielleicht bekomme ich ja irgendwann noch einmal die Gelegenheit, Gellert Grindelwald dafür zu danken!"
Als sie schließlich im Ligusterweg ankamen, war die Nacht hereingebrochen. Dumbledore entlud mit der Hilfe von Fawkes das Auto und bugsierte die Dursleys ins Wohnzimmer. Das Gepäck, die Taschen und Koffer, verstaute er in einem Schrank unter der Treppe in den ersten Stock.
"So, fehlt nur noch eins!" Wieder zückte der Schulleiter seinen Zauberstab und richtete ihn auf die Familie. "AMNESIA!" donnerte er. "Jetzt habt ihr diesen seltsamen Tag und Eure Fluchtgedanken vollkommen vergessen. Ihr wisst absolut gar nichts von Eurem Neffen oder irgendwelchen Briefen, die ich ihm für Euch beigelegt habe. Jetzt muss eigentlich nur noch Harry Potter her, den ihr dann morgen in aller Frühe beim Herausstellen der Milchflaschen noch einmal auf Eurer Schwelle finden werdet. Und diesmal sorge ich, wenn es sein muss, persönlich dafür, dass ihr ihn hier behaltet!"
Dumbledore trat hinaus auf die Straße. Hatte er auch nichts vergessen? War alles dort, wo es sein sollte? Er überlegte, aber ihm fiel im Moment nichts ein, also sprach der den Gegenzauber:
"TEMPUS FUGIT!"
Eine kühle Brise wehte zwischen den Reihenhäusern mit ihren erleuchteten Fenstern hindurch. Irgendwo bellte ein Hund, und in einiger Entfernung hupte ein Auto. Kurz bevor der Schulleiter zusammen mit seinem Phönix in einem neuen leuchtend goldenen Blitzlicht verschwand, sah er noch Arabella Figg, die unscheinbare und zauberunkundige Nachbarin der Dursleys, die die Gardine ihres Küchenfensters zur Seite geschoben hatte und ihm mit zweien ihrer Katzen auf den Schultern schüchtern zuwinkte.
Im Flughafengebäude von Heathrow zwinkerten die Leute einmal, dann begann das Gewimmel und Gewusel erneut. Die japanische Reisegruppe versuchte noch immer, bei der völlig überforderten Schalterangestellten ihre Heimflugtickets umzubuchen. Und absolut niemand erinnerte sich an den grellen Blitz oder den dicken Mann mit der dünnen Frau und dem pummeligen Kleinkind, die gerade noch mitten unter ihnen gestanden hatten.
Im Wohnzimmer im Ligusterweg Nummer 4 beendete Petunia das gekeifte Wort, das sie in einiger Entfernung begonnen hatte: "...non!"
Sie runzelte die Stirn und verdrehte die Augen. Aber so sehr sie auch den Kopf schüttelte, sie konnte sich einfach nicht erinnern, was sie hatte sagen wollen. Dann entdeckte sie den verschmierten Dudley, der gerade seinen gierigen Mund an der Wohnzimmercouch abwischte. "Woher hat der Junge den Schokoriegel?" kreischte Mrs. Dursley etwas schriller als beabsichtigt. "Und warum liegt der Junge nicht schon längst im Bett?"
Vernon konnte nur ratlos mit den Schultern zucken, ließ sich in seinen Sessel plumpsen und schaltete den Fernseher ein. Er hatte heute schon mehr als genug Ärger mit all den Bohrern bei seinem Arbeitgeber "Grunnings" gehabt, was sollte er sich da noch um seinen Nachwuchs kümmern? Sollte Petunia das doch machen, wie sie es immer tat.
^v^v^v^
Währenddessen hatte Rosario Snape ihre Geschichte, wie sie zu dem Baby gekommen war und was sich noch so alles an diesem denkwürdigen Tag abgespielt hatte, dem Wildhüter und Wächter der Ländereien von Hogwarts, Rubeus Hagrid, erzählt, wobei sie mehrfach durch sein "Ja isses denn... Nein, das kann doch nicht!" unterbrochen worden war. Am Ende der Geschichte angekommen, fühlte sie eine tiefe Müdigkeit und auch Traurigkeit. Sanft nahm ihr Hagrid das schlafende Kind vom Arm und wiegte es mit seinen großen Pranken hin und her. Er deutete mit einem Blick auf die verschmutzte und verwahrloste Gestalt von Rosario zu einer Tür, neben seinem Schlafzimmer.
"Da ist mein Bad, da drin kannst Du Dich waschen. Da vorn in der Truhe findest Du auch bestimmt etwas zum Anziehen. Ich find' immer so allerlei Zeugs, dass die Schüler hier auf dem Gelände vergessen. Ich kümmer' mich erst mal um den Kleinen, und dann müssen wir sehen, dass wir Professor Dumbledore informieren. Er ist bestimmt noch im Hauptquartier."
Genau in diesem Moment zerriss ein helles Licht für den Bruchteil einer Sekunde die Luft über dem großen, runden Küchentisch. Hagrid blinzelte nur kurz, aber als er die Augen wieder aufschlug lagen dort auf der Tischplatte eine handgeschriebene Nachricht und eine bunt schillernde Phönixfeder. Er hob den Zettel auf und las.
"So, so", murmelte er dann. "Sieht aus, als ob Dumbledore auf 'm Weg nach Haus ist. Schreibt, er ist bald da. Soll schon mal den Kamin in seinem Büro anheizen!"
Baby Harry hatte sich die Phönixfeder geschnappt und begonnen, sie abwechselnd zwischen beiden Händen zu zerpflücken und anschließend wieder glatt zu streichen. Jedes Mal, wenn er sie wieder in Form gebracht hatte, gab sie kleine, leuchtende Fünkchen von sich, was Harry mit lautem, freudigen Krähen quittierte.
In diesem Moment betrat Rosa wieder den Hauptraum der Wildhüterhütte. Sie hatte den Schmutz der vergangenen Tage und des VERBOTENEN WALDES von sich abgewaschen und sich in der Truhe mit den Fundsachen bedient. Sie trug nun einen wallenden, schwarzen Umhang, dessen Rücken die riesige Stickerei einer Schlange in Grün und Silber zierte. Das Problem war, dass dieser Umhang mit dem Wappentier und in den Hausfarben der Slytherins vormals einer wahren Halbriesin gehört haben musste, denn Rosa versank förmlich darin. Sie sah aus, als hätte sie sich heute morgen versehentlich ein Zirkuszelt übergeworfen oder sei überraschend in ihrer eigenen Kleidung geschrumpft.
"Das geht schon!" verkündete Hagrid fröhlich. "Hab' hier 'nen Gürtel und 'n paar Sicherheitsnadeln. Is' ja auch nich' für immer!" Rosario betrachtet eine Weile ihr Spiegelbild in einer der Fensterscheiben, sagte jedoch nichts.
"Lass' uns jetzt zum Schloss hoch!" verkündete Hagrid schließlich. "Ich bin sicher, Dumbledore freut sich riesig, Dich zu sehen."
Rosa Snape runzelte die Stirn und fragte sich, ob er von ihr oder doch eher von Harry Potter gesprochen hatte.
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Als Lord Abraham Ralf of Salisbury auf allen Vieren aus dem niedrigen Küchenkamin in Spinners End krabbelte, konnte er im Zwielicht zuerst kaum etwas erkennen. Die gesamte untere Etage schien nur von einigen wenigen Kerzen erleuchtet zu werden, und die dunklen Vorhänge waren vor die Fenster gezogen und fest verschlossen. Salisbury rappelte sich auf und klopfte sich Staub und Asche von Umhang und Hose. Dann sah er ihn.
Severus Snape stand mitten in der Tür zum Wohnzimmer und hatte die Stirn gegen das Holz des Türrahmens gelegt. Sein Gesicht war unter seinen langen, ungepflegten Haaren verborgen, aber ein heftiges Schaudern lief durch seinen gesamten Körper. Konnte es sein, dass diese beeindruckende Gestalt, die Lord Abraham bislang immer nur aus einiger Entfernung und stets in Begleitung des Dunklen Lords gesehen hatte, weinte?
Snape sah auf. Er wischte sich fahrig mit der Hand über die Augen und atmete tief durch. "Kannten Sie sie?" fragte er unvermittelt. Abraham wusste nicht, was er meinte. "Kannten Sie Lily Potter? Er hat ihre Augen. Ihr Sohn hat ihre Augen. Ich will nie wieder in diese Augen schauen müssen!"
"Ähem", Lord Salisbury räusperte sich verlegen. Jeglicher Art von Gefühlsausbrüchen stand er immer etwas hilflos gegenüber. Er räusperte sich noch einmal und schaute sich in Snapes Wohnzimmer sehr interessiert und ausführlich um und gab somit Snape die Gelegenheit, sich wieder unter Kontrolle zu bringen.
Dieser gab sich schließlich einen Ruck und wandte sich wieder dem Besucher zu. "Sie hier, Lord Salisbury? Nicht geflohen mit den anderen Todesessern?" Seine Stimme hatte schon fast wieder jene nur allzu bekannte arrogante Tonart angenommen. Entrüstet drehte sich Salisbury um. "Ich war auch nur ein Spion, genau wie Sie! Professor Dumbledore hat mich zu Ihnen geschickt. Wir müssen Ihre Schwester und somit auch das Kind finden."
"Wie gesagt", verkündete Snape, "ich lege nicht viel Wert darauf, diesem Jungen noch einmal in die Augen zu schauen. Was sollte mich also sein Verbleib interessieren? Und zu meiner Schwester hatte ich ohnehin jahrelang keinen Kontakt. Sollen sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst!"
In Gedanken fügte er noch hinzu: 'Er hat Lilys Augen, aber ansonsten erinnert mich alles an ihm an seinen Vater. All der Schmerz und all der Groll über all diese Jahre! Ich kann und will das nicht länger ertragen!'
Doch insgeheim machte er sich große Sorgen, wie es denn nun mit ihm selbst weitergehen würde. Würde ihm irgendjemand glauben, dass er für die richtige Seite spioniert hatte? Dass er nur an der Seite des Dunkeln Lords geblieben war, um seine Schwachpunkte auszukundschaften? Selbst der Tipp, den er Dumbledore gegeben hatte, hatte nicht verhindern können, dass er, dessen Name nicht genannt werden durfte, Lily und James ermordet hatte. Er hatte also nichts vorzuweisen.
Die Auroren würden ihn sicher noch einmal verhören. Dieser Mad-Eye Moody hatte ihn noch nie leiden können und schon immer sein magisches Argusauge auf ihn geworfen. Was konnte er also tun? Er hatte keine Arbeit, keine Freunde mehr. Sollte er sich bis ans Ende seiner Tage in diesem düsteren Haus hier am Spinners End verkriechen und heimlich seine Experimente mit Zaubertränken und den Dunklen Künste fortsetzen?
Die Auroren würden ihn sicher noch einmal verhören. Dieser Mad-Eye Moody hatte ihn noch nie leiden können und schon immer sein magisches Argusauge auf ihn geworfen. Was konnte er also tun? Er hatte keine Arbeit, keine Freunde mehr. Sollte er sich bis ans Ende seiner Tage in diesem düsteren Haus hier am Spinners End verkriechen und heimlich seine Experimente mit Zaubertränken und den Dunklen Künste fortsetzen?
"Das sollten Sie Professor Dumbledore schon persönlich ins Gesicht sagen", riss Lord Salisbury ihn aus seinen Gedanken.
In diesem Augenblick flatterte auch hier eine Nachricht mit einer Phönixfeder durch die Luft zwischen den beiden Spionen. Lord Salisbury nahm sie an sich. "Ich schlage vor, wir suchen ihn gleich jetzt auf", sagte er, nachdem er den Zettel gelesen hatte. "Wir sollen ihn in seinem Büro in Hogwarts treffen."
"Dann schlage ich vor", Severus richtete sich zu seiner vollen Größe auf und zog seinen Umhang glatt, "wir nehmen den Kamin und reisen mittels Flohpulver in den 'Eberkopf' in Hogsmeade. Ich kenne den Wirt dort. Er wird keine lästigen Fragen stellen. Von dort aus können wir zu Fuß zum Schloss gelangen!" Lord Abraham Ralf of Salisbury stimmte ihm zu, und sie machten sich gemeinsam auf den Weg.
^v^v^v^
Es war weit nach Mitternacht, als Albus Dumbledore endlich leise das eichene Eingangsportal der Schlossschule von Hogwarts hinter sich schloss. "Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten!" murmelte er vergnügt vor sich hin.
Er war mit Fawkes, dem Phönix, einige Meilen vom Gelände der Zaubererschule entfernt appariert und hatte einen längeren, nächtlichen Spaziergang gemacht inklusive Abstecher in den VERBOTENEN WALD, wo er auf Moonshadow, den Zentauren getroffen war. Die Luft war klar gewesen und nicht allzu kühl, und so hatte er nach seinem kurzen Plausch mit dem beeindruckenden, magischen Wesen in aller Ruhe nachdenken und Pläne schmieden können. Und das war auch mehr als nötig gewesen, nach diesem ereignisreichen und turbulenten Tag. Er hatte mehrere Nachrichten geschrieben und sie von seinem Feuervogel zustellen lassen. Wenn alles so lief, wie er es sich erhoffte, dann würden ihn in diesem Moment in seinem Büro genau die Menschen erwarten, die er zu sehen wünschte, unter ihnen auch das inzwischen wohl in der ganzen Zaubererwelt bekannteste Baby namens Harry Potter.
Im ganzen Schloss war nicht ein Laut zu hören. Lehrer und Schüler, ja selbst die Geister, schienen nach einem rauschenden Halloween-Fest und der Feier zum Sturz von Lord Voldemort tief und fest zu schlafen.
Lord Voldemort! Dumbledore schüttelte den Kopf über den armen, ungeliebten und dabei so genial bösen Tom Riddle und seinen eindrucksvollen Namen, auf den er immer so stolz gewesen war. Nein, so einfach war einer der größten, schwarzen Magier der letzten Jahrhunderte sicher nicht zu besiegen. Er war noch immer irgendwo da draußen, dessen war Albus sich sicher. Geschwächt vielleicht und verborgen, aber stets auf der Lauer, um jede Gelegenheit, die sich ihm bot, zu nutzen, um wieder an Stärke und Kraft zu gewinnen und eines Tages vielleicht sogar zurück an die Macht zu gelangen. Nein, es war noch nicht überstanden, aber er, Dumbledore, würde stets wachsam sein und nach Zeichen für die Rückkehr des Dunklen Lords Ausschau halten.
Während er sich dem von Wasserspeiern bewachten Zugang zur gewundenen Treppe zu seinem Büro näherte, dachte er zurück an die Prophezeiung, die seine jetzige Lehrerin für Wahrsagen, Sybill Trelawney, vor mehr als einem Jahr in seinem Beisein gemacht hatte. Ach, diese verdammte Prophezeiung. Hätte Severus Snape sie doch nur nie belauscht und an Voldemort verraten, dann könnten Lily und James Potter vielleicht noch am Leben sein. Aber dann hätte der Dunkle Lord vielleicht auch niemals Harry ungewollt als ihm ebenbürtig gekennzeichnet, wäre nicht geschwächt worden und hätte seinen Weg zur Macht mit noch mehr Terror, noch mehr Toten und Unheil gepflastert. Und Severus Snape hätte vielleicht niemals die Seiten gewechselt. So hatte alles seine Vor- und Nachteile, die es zu bedenken und nutzen galt. Gleich morgen würde er sich die Prophezeiung noch einmal in seinem Denkarium ansehen und Wort für Wort zu deuten versuchen.
"Hatten Sie einen angenehmen Tag?" schnarrte die leiernde Stimme des Wasserspeiers, den er inzwischen erreicht hatte. Die furchteinflössende Steinfratze machte ihren Job, den Schulleiter vor ungebetenen Besuchern zu schützen, zwar nicht schlecht, war aber gelegentlich auch etwas zu geschwätzig. Dumbledore würde sich einen Zauber dagegen einfallen lassen müssen.
"Darf ich Sie um das Passwort bitten?" brummte der steinerne Gargoyle. "Pansy Poppins Pfefferminz Pastillen!" erklärte Dumbledore ungerührt. "Treten Sie bitte ein, Schulleiter!" leierte der Wasserspeier weiter. "Sie werden bereits erwartet vom Wildhüter, einer Frau mit viel zu großer Kleidung und einem kleinen Baby."
Gut, dachte Dumbledore, sie waren also schon da. Schnell gab er seinem Wächter noch eine Anweisung: "Ich erwarte noch den Besuch zweier Herren, Severus Snape und Lord Abraham Ralf of Salisbury. Bitte lass' sie sofort zu mir nach oben, auch wenn sie das Passwort nicht kennen."
"Wie Sie meinen, Schulleiter!" brummte die Statue vor sich hin und schien dabei leicht die Augen zu verdrehen angesichts dieses Leichtsinns und der offensichtlichen Verletzung der Sicherheitsmaßnahmen. Aber Albus Dumbledore beachtete es nicht weiter und ließ sich von den fahrenden Stufen der Wendeltreppe hinauf in sein Büro tragen.
Als er die Tür zu seinen Räumen öffnete, schlug ihm ein wärmendes, prasselndes Feuer im Kamin entgegen. Hagrid hatte auch viele der Kerzen in ihren Haltern und Ständern entzündet, die den Raum in ein sanftes, behagliches Licht tauchten. Und da war er ja auch selbst, sein guter, zuverlässiger Wildhüter. Er stand in seiner vollen Größe hinter einem Stuhl, auf dem eine dunkelhaarige Frau in einem viel zu großen Umhang mit einem Baby auf dem Schoß saß, und hatte seinen großen Arm beschützend um beide gelegt.
Die Portraits der ehemaligen Schulleiter und Schulleiterinnen an den Wänden ringsum schienen sich quer durch den Raum und ohne Beachtung irgendwelcher Rahmengrenzen miteinander über die seltsamen Besucher in ihrem ehemaligen Büro zu unterhalten, sodass ein aufgeregtes Stimmengewirr in der Luft hing wie das Gackern einer aufgebrachten Schar Hühner. Nur Fawkes, der Phönix schlief in diesem Durcheinander, den schlanken Kopf unter einem Flügel verborgen auf seiner Stange in einer Ecke des Raumes.
Auf einem kleinen Tischchen neben einem Fenster konnte Dumbledore jene storchenbeinigen Glaskolben und Instrumente entdecken, die er Minerva gebeten hatte, aus dem ehemaligen Quartier des Phönixordens im Wachturm hierher zu schaffen. Professor McGonagall war also bereits hier gewesen. Gut, dachte Dumbledore.
"Professor", begann Hagrid leicht verlegen und verunsichert, "Harry ist wieder da!" - "Ich weiß, Hagrid, ich weiß!" erwiderte der Schulleiter und ging auf Rosario Snape und den kleinen Potter zu, der jetzt tief und fest in ihren Armen schlief. Hagrid und Rosario hatten ihn gewaschen und dann vorsichtig in weiches Leinen gewickelt. Dumbledore strich ihm vorsichtig mit dem Zeigefinger über die Wange nach oben bis zur Blitznarbe auf seiner Stirn.
"Ich weiß, aber Du solltest nicht hier sein, kleiner Harry!" murmelte er leise. "Noch ist in der Zaubererwelt kein Platz für Dich. Du sollst kein Superstar unter den Hexen und Zauberern werden, immer im Blick und unter Beobachtung der magischen Gemeinschaft. Wir bringen Dich an einen Ort, der durch Blutsbande und, wenn auch vielleicht nur einer ganz, ganz winzigen Spur Liebe sicher für Dich sein wird, wenigstens so lange, bis Du volljährig wirst!"
Er nahm Rosa Snape den kleinen, schlafenden Jungen aus den Armen und übergab ihn an Hagrid. "Hagrid, nehmen Sie ihn und bringen Sie ihn mit dem fliegenden Motorrad von Sirius Black zu dem Ort, an den sie ihn gestern schon einmal gebracht haben. Ich kann nur hoffen, dass diesmal nichts schief geht, und wir ihn diesmal sicher dort zurücklassen können. Ich habe Professor McGonagall bereits von unterwegs aus informiert. Sie wird sie dort erwarten, genau wie gestern im Morgengrauen. Ich selbst komme in wenigen Minuten nach. Vielleicht schaffe ich es sogar, vor Ihnen dort zu sein!"
Hagrid nickte stumm, ging dann wortlos hinaus und nahm die bewegliche Treppe nach unten, wie ihnen ein leicht schabendes Geräusch von außerhalb des Büros zeigte.
Rosario Snape hatte den Blick auf den Fußboden zwischen ihren Füßen gerichtet und spielte nervös an den Sicherheitsnadeln, die den Ausschnitt ihres übergroßen Umhangs am Hals etwas enger machen sollten. Sie wagte nicht, den einzigen Zauberer, den der Dunkle Lord jemals gefürchtet hatte, direkt anzusehen. Sie hatte ihn zu lange als Feind betrachtet. Und da war auch einfach zu viel Respekt und Ehrfurcht vor ihrem ehemaligen Schulleiter.
Aber auch Dumbledore schien sie zunächst nicht zu beachten. Er ging an ihr vorbei zu seinem Schreibtisch, zog die Feder aus dem großen Tintenfass und verfasste noch einmal einen Brief an Petunia und die anderen Dursleys, den er noch einmal zusammen mit Harry auf ihrer Türschwelle zurücklassen würde. Während er schrieb, sprach er beinahe lautlos einen Zauberspruch, der bewirken sollte, dass Tante und Onkel nicht allzu schnell wieder versuchen würden, ihren Neffen loszuwerden. Diesmal musste es einfach klappen. Die Zaubererwelt wäre für Harry nicht nur unangenehm wegen seiner Berühmtheit sondern auch eine regelrechte Gefahr wegen der versprengten und versteckten Todesser. Was würden die nicht alles unternehmen, um den Jungen, der überlebt hatte, zu beseitigen?
Kaum hatte Dumbledore den Brief beendet und in einen Umschlag gesteckt, gab es ein Geräusch von der Tür her. "Ich habe Ihnen gleich gesagt, dass das keine Abkürzung war!" zischte Lord Abraham Ralf of Salisbury gerade Severus Snape zu, während sie das Schulleiterbüro betraten.
"Ich wollte nur diese geflügelten Eber am Eingangstor umgehen!" verteidigte sich Snape. "Ich denke nämlich immer noch, dass sie eine Art Alarm auslösen, sobald sie das hier aufspüren!" Leicht erregt und ärgerlich hatte er sich den linken Ärmel hochgezogen und sein aufgebranntes Dunkles Mal enthüllt, das allerdings bereits im Laufe des Tages immer schwächer geworden war.
"Und warum hat es dann so lange gedauert... ?" Weiter kam Lord Abraham nicht, denn Dumbledore hatte beiden beschwichtigend eine Hand auf die Schulter gelegt. "Seid willkommen, meine Spione!" sagte er freundlich.
Rosario Snape starrte ihren Bruder an und schnappte deutlich hörbar nach Luft. Es war also tatsächlich wahr. Severus war Dumbledores Mann.
"Wo ist Harry Potter?" verlangte Lord Salisbury zu wissen und schritt energisch auf seine einstige Verfolgerin zu, um sie am Kragen zu packen und durchzuschütteln. "Er ist in Sicherheit!" Dumbledore stellte sich ihm mit einer schnellen Bewegung in den Weg. "Er ist auf dem Weg zu einem Ort, an dem er es auch die nächsten Jahre sein wird. Und Rosario hier", zum ersten Mal sah er seine ehemalige Schülerin direkt an, "hat das ihrige dazu beigetragen, dass es so ist."
Sowohl Severus Snape als auch Lord Abraham Ralf of Salisbury atmeten sichtlich auf. Dem Jungen war also nichts passiert.
Rosario Eileen Snape erhob sich von ihrem Stuhl und tat einen Schritt auf Lord Salisbury zu. Sie streckte ihre Hand vor und ergriff die seinige. "Ich denke", sagte sie kleinlaut, "es ist Zeit für eine Entschuldigung. Ich war auf einem Irrweg, wie geblendet von den Versprechungen des Dunkeln Lords. Es tut mir leid, dass ich Dich verfolgt und vom Himmel gehext habe."
Lord Salisbury lächelte verlegen und sah ihr erstmals in die tiefschwarzen, unergründlichen Augen. Er grinste weiter und rieb sich dabei mit seiner freien Hand die Haarstoppeln am Hinterkopf. "Na ja", stammelte er, "ich denke, wir haben beide Fehler gemacht."
Der Augenblick schien sich ewig zu dehnen, die Berührung unendlich lange anzudauern und als sie sich schließlich losließen, schien es zwischen den Fingerspitzen ihrer Hände wie von aufgeladener Elektrizität zu knistern.
Irgendwas war mit Rosa Snape geschehen, dachte Lord Salisbury. Er erkannte sie kaum wieder. Dies hier war nicht mehr die fanatische Todesseranhängerin, die ihn noch vor wenigen Stunden auf Leben und Tod auf dem Besen verfolgt hatte. Diese junge Frau hier vor ihm schien von innen heraus zu leuchten und zu strahlen. Er fühlte sich auf verwirrende Art und Weise zu ihr hingezogen. Er musste etwas sagen, um sich selbst von dem eigentümlichen Gefühl in seiner Brust abzulenken.
"Was können wir nun tun, Dumbledore?" fragte er schließlich an den Schulleiter von Hogwarts gewandt. Dieser legte leicht die Stirn in Falten und dachte einen Augenblick lang nach.
"Ich hätte da eine Aufgabe für Euch zwei", begann er nach einer Weile. "Sie wird nicht leicht sein und einige Opfer von Euch verlangen, aber sie wird der guten Sache dienen."
Rosario trat dichter an Abraham heran und berührte dabei leicht seine Schulter und seinen Oberarm. Auch sie genoss plötzlich die Nähe dieses mittelalten und faszinierenden Mannes. Gemeinsam hingen sie an Dumbledores Lippen.
"Weiß jemand außer Dir von Lord Salisburys kläglichem Versuch, dieses seltsame Steinei zu stehlen?" fragte Dumbledore Rosa. Diese verneinte durch ein Kopfschütteln.
"Dachte ich mir", fuhr Dumbledore grüblerisch fort. "Also halten die verbliebenen Todesser Euch beide immer noch für Anhänger des Dunklen Lords. Und, was auf eine andere Art noch wichtiger ist, er selbst würde Euch noch immer für seine treuen Diener halten, sollte er eines Tages zurückkehren."
Rosas und Abrahams Blicke kreuzten sich kurz. Sie hatten nicht die leiseste Ahnung, worauf Albus Dumbledore hinaus wollte.
"Treue Anhänger und Diener, die der Verfolgung und Bestrafung durch die Auroren entkommen sind. Nicht dadurch, dass sie ihn verleugnet haben, sondern durch Flucht ins Ausland. Das würde Sinn machen. Das ginge. Ich kann es natürlich nicht von Euch verlangen, denn es würde Euch auf Jahre, wenn nicht auf alle Zeit von Eurer Heimat und Euren Familien trennen."
"Professor, bitte erklären Sie uns genauer, wovon Sie sprechen!" baten Rosaria und Abraham fast zeitgleich. Die sahen sich erneut fast scheu an und brachen in strahlendes Lächeln aus, als sich ihre Blicke trafen.
"Wollen Sie beide zusammen in meinem Auftrag ins Ausland gehen und nach Voldemort suchen?" fragte Dumbledore nun gerade heraus. "Wie ausgeführt, vermutet niemand, dass ihr auf meiner Seite steht. Ihr wärt Anhänger des Dunklen Lords auf der Flucht vor der magischen Strafverfolgung. Ihr könntet nach ihm suchen, offiziell um ihm zurück an die Macht zu helfen, aber inoffiziell als meine Spione, meine Mitarbeiter, meine Schläfer. Und sollte er tatsächlich zurückkommen, dann wärt ihr ganz schnell wieder in seiner Nähe und vielleicht noch schneller im Kreis seiner Vertrauten. Oder was meinen Sie, Severus?"
Der so unvermittelt angesprochene hatte Mühe, schnell den skeptischen Ausdruck von seinem Gesicht zu wischen. Dieser Salisbury und seine tollpatschige Schwester als Geheimagentenpärchen auf der Suche nach dem, dessen Name nicht genannt werden durfte? Das klang doch alles mehr als abenteuerlich. Und was würde das für ihn selbst bedeuten, sollte Voldemort jemals wieder zurückkehren?
Doch noch bevor Severus sich Gedanken über eine Antwort machen konnte, hatte Lord Salisbury Dumbledores halsbrecherisches Angebot auch im Namen von Rosario Snape angenommen.
"Ich denke", erklärte er freudestrahlend, "wir haben beide nicht viel zu verlieren, Rosa und ich. Wir können noch heute unsere Koffer packen. Ich bin mir bewusst, dass Sie uns meistens keine allzu große und offensichtliche Unterstützung geben können, aber ich verspreche, wir bleiben unauffällig in Kontakt. Ich denke, wir sollten zuerst im hohen, kalten Norden mit der Suche beginnen. Lord Voldemort dürfte viele Anhänger gehabt haben in und um die Schule von Durmstrang, nach allem, was ich so gehört habe. Was hältst Du davon, Rosa? Willst Du mit mir gehen?"
"Ja, ich will!" hauchte Rosario Eileen Snape ihm entgegen und senkte errötend den Blick, als ihr bewusst wurde, was sie da gerade gesagt hatte. Und sie wollte es wirklich, und nicht nur, weil ihr Herz in ihrer Brust plötzlich zu hüpfen und zu springen schien, sobald sie Lord Abraham Ralf of Salisbury nur ansah. "Packen wir unsere Sachen!" stimmte sie ihm noch einmal zu.
Dumbledores Augen strahlten und schienen beinahe überlaufen zu wollen. "Ich danke Euch!" sagte er und schüttelte ihnen zum Abschied herzlich die Hände.
Kaum waren die beiden durch die Bürotür verschwunden, wandte sich der Schulleiter an Severus Snape, der noch immer schweigsam in einer Ecke des Raumes stand: "Sie sollten jetzt auch Ihre Sachen packen und ihr neues Büro beziehen, Severus!"
"Was meinen Sie damit, Professor?" fragte Snape mehr als verwirrt.
"Horace Slughorn will sich noch im laufenden Schuljahr zur Ruhe setzen und lieber seine sozialen Kontakte pflegen!" erklärte Dumbledore verschmitzt. "Das bedeutet, ich hätte an meiner Schule die Stelle des Lehrers für Zaubertränke und des Hauslehrers von Slytherin frei. Wie sieht es aus? Haben Sie Interesse daran, Halbblutprinz?"
Severus Snape verschlug es die Sprache. Mit einem ungläubigen Geräusch plumpste er auf den Stuhl, auf dem vor wenigen Minuten noch seine Schwester Rosario gesessen hatte.
"Lassen Sie sich Zeit zum Nachdenken, solange die Antwort am Ende 'Ja!' lautet!" Dumbledore hatte den Türknauf bereits in der Hand. "Ich habe jetzt noch eine wichtige Verabredung mit einem sehr kleinen Jungen im Ligusterweg Nummer 4 in Little Whinging. Machen Sie es gut, Severus. Wir sehen uns morgen früh im Lehrerzimmer!"
Und schon war sein vor Freude strahlendes Gesicht verschwunden und die Tür des Schulleiterbüros hinter ihm ins Schloss gefallen.
- E N D E –
[first published June, 11th – 18th 2008]

Obwohl in dieser Geschichte kein einziger Hase und nur ein einziges, noch dazu verzaubertes, Ei vorkommen, wünsche ich mit dieser Schandtat allen Lesern und Hobbydramatikern schöne und frohe Ostertage!
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