Es war einmal...

Als Anfang August 2007 der siebte und damit letzte Band einer Buchreihe der berühmten Joanne K. Rowling über einen gewissen Zauberlehrling namens Harry Potter erschienen und endlich gelesen war, traf sich im frisch errichteten Kundendiskussionsforum auf amazon.de eine Gruppe von mehr oder weniger erwachsenen Menschen, um sich über das Werk auszutauschen, und schließlich, weil keiner so recht glauben wollte, dass es vorbei sein sollte, aus eigener Kraft eine bis drei Fortsetzungen zu schreiben.

Schon bald spaltete sich aus dem Hauptschreiberfeld eine kleine, aber äußerst feine Splittergruppe ab, die sich fortan "Die Hobbydramatiker" nannte. Und als es den "Hobbydramatikern" mal wieder zu langweilig wurde, entstanden die hier neu veröffentlichten "Neuen und unglaubwürdigen Schandtaten der Hobbydramatiker". Zunächst nur auf die Länge eines Posts bei amzon.de beschränkt, entwickelten sie sich schnell zu wahren Kurzgeschichten voller Nonsens und Humor aber auch tragischer Momente, die den Lesern hoffentlich genauso viel Spaß beim Lesen bringen wie uns beim Schreiben. Über Kommentare würden wir uns sehr freuen.

Die Schandtaten:

23.3. – 3:23 Uhr (1) Allerhöchste Geheimstufe (1) Angriff der Bomische (1) Die Auferstehung (1) Die Silberhochzeit (1) Die Suche (1) Die Winterverschwörung (1) Dursleys Reloaded (1) Ein Junge überlebt - etwas anders (1) Ein Schweinchen namens Dudley (1) Ein tierisches Abenteuer (1) Feenwettstreit (1) Freitag der 13. (1) Harry Potter und das Vermächtnis der Hobbydramatiker (11) Harry Potter und der verrückte Fan (1) Harry Potter und die Weihnachtsbäckerei (1) Hogwarts Hüte und Hauselfen (1) Jahrestage (1) Kurz und schmerzlos (1) LA VIE EN ROSE (1) Nachwuchs (1) Schadtat Nr. 33 - Jahrestag (1) Schandtat Numero 01 (1) Schandtat Numero 02 (1) Schandtat Numero 03 (1) Schandtat Numero 04 (1) Schandtat Numero 05 (1) Schandtat Numero 06 (1) Schandtat Numero 07 (1) Schandtat Numero 08 (1) Schandtat Numero 09 (1) Schandtat Numero 10 (1) Schandtat Numero 11 (11) Schandtat Numero 12 (1) Schandtat Numero 13 (1) Schandtat Numero 14 (1) Schandtat Numero 15 (1) Schandtat Numero 16 (1) Schandtat Numero 17 (1) Schandtat Numero 18 (1) Schandtat Numero 19 (1) Schandtat Numero 20 (1) Schandtat Numero 21 (1) Schandtat Numero 22 (1) Schandtat Numero 23 (1) Schandtat Numero 24 (1) Schandtat Numero 25 (1) Schandtat Numero 26 (1) Schandtat Numero 27 (1) Schandtat Numero 28 (1) Schandtat Numero 29 (1) Schandtat Numero 30 (1) Schandtat Numero 31 (1) Schandtat Numero 32 (1) Schandtat Numero 33 (1) The Irish Ways or How to handle a Leprechaun (1) Und nichts als die Wahrheit... (1) Urlaub auf dem Bauernhof (1) VerRückt und duchgeKNALLT? (1) Was wäre wenn ??? (1) Wie Ron Weasley Asmodeus traf… (1) Wohl bekomm's (1)

Mittwoch, 31. Oktober 2012

Schadtat Nr. 33 - Jahrestag

Schandtat Numero 33

Irgendwo in einem der vielen Räume im altehrwürdigen Haus der Blacks am Grimmauld-Platz Nr. 12 schlug eine alte Standuhr zwölfmal – Mitternacht!

"Sirius? Was machen wir hier?"

"Feiern, Harry!"

"Feiern?"

"Ja, Jahrestag."

"Jahrestag?"

"Jahrestag."

Harry fragte sich, was für ein Jahrestag das sein könnte. Ihm fiel jedoch nichts dazu ein. Und dann kam ihm etwas ganz Anderes in den Sinn.

"Sirius! Bin ich tot?"

"Was? Wie kommst Du denn darauf?"

"Das letzte, an das ich mich erinnern kann, ist in meinem Bett in unserem Haus in Godric's Hollow neben Ginny eingeschlafen zu sein. Und DU bist auf jeden Fall tot!"

"Natürlich bist Du NICHT tot!"

"Und wie komme ich dann hierher? Und was mache ich hier? Und was ist mit Dir?"

"So viele Fragen", meinte Sirius kopfschüttelnd. "Du bist hier, um zu feiern! Ich dachte, Du könntest mal ein wenig Party in Deinem Leben gebrauchen!"

Harry sah sich um und stellte fest, dass er und Sirius – der ganz und gar nicht nach einem Geist aussah – im großen Ballsaal des Black-Hauses saßen, den sie erst kürzlich bei Renovierungsarbeiten entdeckt hatten. Der Saal war mit Kerzen hell erleuchtet, und überall standen kleine Tische mit Stühlen. An einem saßen Harry und Sirius. An einer Wand war ein großes Buffet aufgebaut, und die Mitte des Raumes war für eine Tanzfläche frei gehalten.

"Und wo sind die Gäste?" wollte Harry wissen.

Sirius sah auf eine Uhr, die eine der vielen Glasvitrinen zierte.

"Die müssten jede Minute kommen."

"Und wer kommt? Holst Du meine Freunde auch einfach so aus dem Bett? Dann hättest Du doch Ginny gleich mitnehmen können."

"Heute wird nicht mit den Lebenden gefeiert. Die siehst Du doch jeden Tag. Heute feiern wir mit den nicht ganz so Lebendigen."

"Mit Geistern?" fragte Harry wenig begeistert nach.

Wozu brauchten sie dann ein Buffet, vor allem, da die Speisen alle noch genießbar aussahen?

"Keine Geister! Habe eine Sondergenehmigung eingeholt", grinste Sirius von einem Ohr zum anderen. "Heute werden alle... naja... irgendwie... wie lebendig sein."

"Und es soll mir Spaß machen, lauter Leute zu sehen, die eigentlich tot sind?" wollte Harry ungläubig wissen.

Wie war sein Pate nur auf diese bescheuerte Idee gekommen?

"Wird es! Du wirst sehen! Das ist ja noch nicht alles. Du und ich und alle anderen werden ihre sechzehnjährigen Selbst sein!"

"DAS hört sich ja gleich viel besser an", bemerkte Harry sarkastisch.

"Komm schon. Sei etwas aufgeschlossener! Das WIRD richtig gut werden! Und Du WIRST Spaß haben! Versprochen!"

"Und wer kommt alles?" wollte Harry resignierend wissen.

Sirius ließ aus dem Nichts eine Pergamentrolle erscheinen, die er mit einem eleganten Wurf entrollte. Harry staunte nicht schlecht... Die war ja riesig!

"So viele?" wollte er ungläubig wissen.

"Naja, nicht alle haben zugesagt. Dumbledore hat andere Verpflichtungen. Aber sonst..."

"Aha... mhm...", war alles, was Harry dazu sagen konnte.

"Die anderen Rumtreiber kommen. Natürlich! Fred, Sevvie,..."

Harry unterbrach Sirius: "Sevvie?"

"Du weißt schon... Severus... Severus Snape."

"Sevvie?" wiederholte Harry nur.

"Ich darf ihn nicht mehr Schniefelus nennen. Und Sevvie ärgert ihn genauso", entgegnete Sirius schulterzuckend. "Also weiter... Lily,..."

Harry blendete die schier unendliche Aufzählung von Gästen aus. So viele Menschen sollte er gekannt haben? Und Snape hatte keine Möglichkeit gefunden, sich zu drücken? DAS konnte Harry sich kaum vorstellen. Dann erregte etwas wieder seine Aufmerksamkeit.

"Was war das gerade?" wollte er von Sirius wissen.

"Mhm?"

"Der letzte Name?"

"Ach so... Tom... Tom Riddle."

Harry keuchte erschrocken auf.

"DU HAST VOLDEMORT EINGELADEN?"

"HÄ? Oh... da war doch was... ups?"

"UPS? Mehr hast Du dazu nicht zu sagen?"

"War mir entfallen, dass das sein richtiger Name war."

Harry wollte ihn unterbrechen, aber Sirius sprach schnell weiter.

"Sein sechzehnjähriges Ich ist eigentlich ganz in Ordnung. Hat sogar Humor. Ist eigentlich eine gute Gesellschaft. Einige der anderen jedoch... DIE habe ich nicht eingeladen!"

"Was meinst Du?"

"Voldemort gibt es im Jenseits gleich acht Mal! Und außer Tom ist einer irrer als der andere. Du weißt schon... Die Sache mit den Horkruxen."

Harry konnte nur wie betäubt nicken. Das konnte doch nicht wahr sein... Party mit dem Dunklen Lord. Na gut, er würde es auf sich zukommen lassen. Und hatte er da eben nicht auch noch andere Namen von Todessern gehört? Er fragte Sirius danach.

Der zuckte nur mit den Schultern.

"Als Sechzehnjährige waren die alle noch irgendwie erträglich. Und Du weiß doch: Je mehr umso lustiger!"

Erneut sah er auf die Uhr.

"Uhh, es wird Zeit. Ich muss uns beide noch verjüngen. Und Du brauchst noch andere Kleidung."

Harry sah an sich herunter. Er trug immer noch nur Boxershorts und T-Shirt. Aber im nächsten Moment war er auch schon passend für eine – für seine – Party gekleidet. Und ein Blick in den nahen Spiegel zeigte ihm, dass er auch schon verjüngt war, so wie Sirius neben ihm auch.

Und schon hörte Harry um sich herum PLOPP-Geräusche, wie von apparierenden Personen. Bevor er noch genau darüber nachdenken konnte, ob Geister... Kurzzeitig-lebende-eigentlich-Tote... wurden seine Gedanken durch Sirius' begeisterten Ausruf unterbrochen:

"Jetzt kann die Party beginnen!"

'Ach, was soll's!' dachte Harry sich. 'Wen interessiert's... PARTY!!!'

Und ehe Harry es sich versah, war die Feier in vollem Gange. Das Butterbier und der Feuerwhiskey flossen in Strömen. Am Buffet füllten sich die Teller und Platten immer wieder magisch mit den köstlichsten Köstlichkeiten.

Der ganze Ballsaal war erfüllt von ausgelassenem Geplauder und Gelächter und lauter, fröhlicher Tanzmusik. Auf der Tanzfläche drehten sich bereits die ersten Paare aber auch einzelne Tänzer und Tänzerinnen in bunter Partykleidung und feierlichen Festumhängen. Diese Party übertraf alle Feierlichkeiten, auf denen Harry je gewesen war, den Weihnachtsball anlässlich des Trimagischen Turniers in seinem vierten Schuljahr in Hogwarts eingeschlossen.

Überwältigt starrte er in die vielen glücklichen Gesichter um sich herum. Wen hatte Sirius da nur alles eingeladen? Wer waren nur all diese Leute? Er hatte leichte Probleme, Bekannte zu entdecken. Und das lag nicht nur daran, dass alle Partygäste heute Nacht sechzehn Jahre alt waren.

Aber während er noch das bunte Treiben im vom Kerzenschein erleuchteten Ballsaal bestaunte, begannen Harrys Füße ungewollt im Takt der Musik zu wippen. Nur wenige Augenblick später tanzte und drehte er sich ausgelassen in der wachsenden Menschenmenge auf der Tanzfläche. Und stolperte direkt in ein Tanzpaar hinein.

"Kannst Du nicht aufpassen?" knurrte eine tiefe Stimme.

Harry musterte den Jungen mit der dunkelblonden Haarmähne. Irgendwie kam der ihm bekannt vor. Er hatte etwas Kämpferisches und Löwenartiges an sich. Aber natürlich! Das war der sechzehnjährige Rufus Scrimgeour, der hier vor ihm stand, der zukünftige – oder vielleicht doch eher ehemalige? – Zaubereiminister, der bei Voldemorts Übernahme des Zaubereiministeriums getötet worden war.

Er schaute Harry noch einen Moment grimmig an, dann machte sich ein Grinsen auf seinen jugendlichen Zügen breit.

"Wenn das nicht der junge Potter ist!" rief er aus und schüttelte Harry überschwänglich die Hand. "Sie haben Karriere gemacht, wie man hört. Und Ihre Zusammenarbeit mit dem Zaubereiminsterium klappt wohl neuerdings besser als zu meiner Zeit?"

Scrimgeour zwinkerte Harry verschmitzt zu, dann drehte er seine Tanzpartnerin in Harrys Richtung.

"Darf ich Ihnen Bertha Jorkins vorstellen, Potter?"

Harry starrte die junge Frau erstaunt an. Bertha Jorkins? Ja, natürlich. Die Ministeriumshexe aus der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit, die damals kurz vor der Quidditch-Weltmeisterschaft in ihrem Urlaub in Albanien verschwunden war. Sie war ein Opfer von Lord Voldemort geworden, wie sich später herausgestellt hatte. Und sie sah genauso aus, wie Harry sie in seinem vierten Schuljahr in Hogwarts in Albus Dumbledores Denkarium gesehen hatte. Damals, in der Erinnerung seines alten Schulleiters, war sie eine sehr neurige und tratschhafte Schülerin gewesen, die gerade zwei ihrer Mitschüler verpetzt hatte.

"Soll ich Dir was verraten?" flüsterte sie Harry jetzt verschwörerisch zu. "Severus Snape wäscht sich nicht mal im Jenseits die Haare!"

"Darf ich abklatschen?" wurden sie da von einer weiteren männlichen Stimme unterbrochen.

Bartemius Crouch, junior, fuhr es Harry durch den Kopf. Die Ähnlichkeit war unverkennbar. Aber lebte der nicht noch? Sicher die Dementoren, die unheimlichen Wachen des Zauberergefängnisses von Askaban, hatten ihn geküsst, also ihm die Seele ausgesaugt. Aber dieser Kuss bedeutete nicht automatisch den Tod. Oder doch?

Bei einem zweiten Blick auf die Gestalt im tadellosen, grauen Anzug mit passender Krawatte, wurde es Harry jedoch klar. Diese Ausgeburt an Ordnungsliebe und Verkörperung unbedingter Einhaltung aller Vorschriften mit der wie mit dem Lineal gescheitelten Frisur und dem Ansatz eines exakt getrimmten Schnurrbartes über der Oberlippe, war nicht Barty Crouch, der fanatische Anhänger des Dunklen Lords und Todesser. Das war das sechzehnjährige Selbst seines Vaters: Bartemius Crouch, senior, der nun mit einer Körperhaltung, als hätte er einen Spazierstock verschluckt, die Hand von Bertha Jorkins ergriff.

"Ist gut, Barty", grinste Rufus Scrimgeour. "Ich werde mich dann mal auf die Suche nach Deiner Frau machen. Wollte schon immer mal die Geschichte von ihr hören, wie ihr damals mit dem Vielsafttrank euren Sohn aus Askaban geschmuggelt habt!"

"Wirklich nette Party, Potter!" rief er Harry noch zu, dann war er auch schon wieder im Partygetümmel verschwunden.

Harry schüttelte noch einmal leicht den Kopf über Sirius' Gästeliste. Waren wirklich so viele Menschen aus seinem Leben und seiner Umgebung gestorben? Sollte oder musste er wirklich alle Partygäste kennen? War das dort nicht Charity Burbage, Hogwarts' ehemalige Professorin für Muggelkunde? Und der Muggel neben ihr? War das nicht dieser Frank Bryce, der Gärtner, den Voldemort als alten Mann im Herrenhaus seines Großvaters getötet hatte?

"Harry, auf ein Wort!" wurde er da aus seinen Gedanken gerissen.

Wieder brauchte er eine Weile, bis er erkannte, wer da an einem der kleinen Tische saß und ihn nun zu sich heranwinkte. Es war der junge Alastor – noch-nicht-Mad-Eye – Moody. Er hatte noch all seine Gliedmaßen, noch kein Holzbein. Sein Gesicht war noch nicht vernarbt und entstellt. Seine Nase war noch vollständig. Und er hatte noch seine beiden eigenen braunen Augen. Kein verrücktes, leuchtend blaues und magisches Auge, mit dem er durch seinen Hinterkopf und sogar durch Tarnumhänge schauen konnte. All diese Verletzungen und Kämpfe gegen schwarzmagische Todesser lagen noch vor dem sechzehnjährigen Alastor.

"Komm' her, Harry! Auf einen Drink mit uns beiden!" rief er nun wieder und deutete dabei auf den kleinen, rattengesichtigen Jungen, der ihm am Tisch gegenüber saß.

Aber den erkannte Harry sofort. Das war niemand anderes als Peter Pettigrew, ehemals enger Freund seines Vaters und später Verräter und Diener des Dunklen Lords. Er blickte gehetzt und geduckt um sich und schien sich nicht sonderlich wohlzufühlen in Gegenwart des zukünftigen Aurors und Todesserjägers Moody. Wurmschwanz! Dieser kleine Feigling, der das Versteck seiner Eltern verraten und seinen Paten Sirius ins Gefängnis gebracht hatte, um sich dann jahrelang als Ratte getarnt bei Harrys bestem Freund, Ron Weasley zu verstecken. Nein, mit diesem fiesen Nager wollte Harry sicher keinen Drink nehmen.

"Später vielleicht!" rief er Moody zu und sah sich weiter im Ballsaal um.

Sirius hatte ja gesagt, dass alle Rumtreiber kommen würden. Wurmschwanz war da. Tatze auch. Fehlten nur noch Moony, Remus Lupin, und Krone, James Potter, sein Vater.

Doch zunächst entdeckte er nur seinen Paten wieder, der zusammen mit Fred Weasley am Buffet stand und ihm zuprostete. Harry drängte sich durch die tanzenden Kurzzeitig-lebenden-eigentlich-Toten zu ihnen.

"Super Party!" rief Fred über die Musik hinweg. "Mal was anderes! Du ahnst gar nicht, wie öde das Leben nach dem Tod und im Jenseits sein kann. Bist Du jetzt eigentlich auch tot, Harry?"

Sirius drängte sich sofort zwischen die beiden und drückte Harry ein Butterbier in die Hand.

"Was redest Du denn da, Fred? Harry ist natürlich NICHT tot!"

"Ich meine ja nur, weil Harry der einzige auf dieser Party wäre, der…"

"Sei still und trink noch einen Feuerwhiskey, solange Du noch kannst", sagte Sirius schnell. "Heute wollen wir feiern und uns amüsieren!"

Und er drückte dem Weasley-Zwilling nun ebenfalls ein Glas in die Hand.

Harry hatte inzwischen eine kleine Gestalt mit langen Fledermausohren und Augen groß wie Tennisbällen auf einem der Buffettische entdeckt. Sie trug eine Art weißen Overall und bediente sich gerade an einem Tablett mit Ingwerpasteten.

"Dobby!" rief Harry aus.

"Harry Potter!" quiekte der kleine Hauself mit seiner piepsigen, aber sehr durchdringenden Stimme und sprang vom Tisch herunter.

Er umarmte und umklammerte Harrys Beine knapp oberhalb der Knie und schien ihn gar nicht wieder loslassen zu wollen.

"Du musst uns doch wohl nicht bedienen heute Nacht, Dobby?" kam es Harry in den Sinn.

Fast sah er Hermine Weasleys, ehemals Grangers, empörtes Gesicht vor sich, wenn sie erfuhr, dass die Hauselfen selbst nach dem Tod noch von den Hexen und Zauberern versklavt wurden und sie ihnen zu Diensten sein mussten. Alle Elfen-Befreiungs-Gesetze umsonst!

Doch Dobby winkte ab.

"Keine Sorge, Master Harry! Master Sirius hat für diese besondere Nacht einen ganz anderen Zauber gewirkt, der alle mit Essen und Trinken versorgt."

"Harry!" ertönte da ein erfreuter Ausruf hinter ihnen.

Als Harry herumwirbelte, wurde er von einem grellen, weißen Blitzlicht geblendet.

"Entschuldige Harry! Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen. Selbst nach dem Tod!"

Der kleine, schmächtige Colin Creevey lächelte ihn hinter seinem Muggel-Fotoapparat selig an. Harry trat einen Schritt auf ihn zu und drückte ihn trotz Kamera vor dem Bauch herzlich an sich. Die ersten Jahre in der Schule für Hexerei und Zauberei hatte Colin ihn regelrecht verfolgt mit seiner Verehrung und Bewunderung. Dann war er – kaum älter als sechzehn Jahre – beim Kampf mit Voldemort und seinen Todessern in Hogwarts ums Leben gekommen. Harry schluckte schwer und musste gegen ein mulmiges Gefühl im Magen ankämpfen, das in ihm aufsteigen wollte.

Neben Colin stand ein weiterer Bekannter, der viel zu früh und vollkommen sinnlos gestorben war. Auf einem Muggel-Friedhof. Durch die Hand und den Zauberstab von Peter Pettigrew. Auf Befehl des Dunklen Lords, weil er ihm auf seinem Weg zu einem neuen Körper und zurück an die Macht in die Quere gekommen war. Cedric Diggory, der damalige Kapitän der Quidditch-Mannschaft und Vertrauensschüler des Hauses Hufflepuff und Schulchampion von Hogwarts im Trimagischen Turnier, sah noch immer verdammt gut aus, hatte aber auch irgendwas von einem blassen Vampir an sich, wie Harry fand.

Mit traurigen, grauen Augen trat Cedric auf Harry zu, ergriff und schüttelte seine Hand.

"Danke, Harry!" hauchte er. "Danke, dass Du meinen Körper damals nicht auf dem Friedhof in Little Hangleton gelassen und ihn zurück zu meinen Eltern gebracht hast! Hatte nie Gelegenheit, Dir dafür zu danken!"

Ein Kloß begann sich in Harrys Hals zu formen und brachte ihn zum Seufzen. Es tat weh, all diese Menschen hier zu sehen, die vor ihrer Zeit gestorben waren, und an die Gründe für ihren Tod erinnert zu werden. Ein Teil von Harry gab sich jetzt selbst die Schuld daran. Könnten sie vielleicht noch leben, wenn es ihn nie gegeben, sich ihre Wege nie gekreuzt hätten?

Wie lange würde diese Party der Untoten wohl noch dauern? Er beugte sich zu seinem Paten Sirius und fragte leise:

"Wie lange wirkt dieser Kurzzeitig-lebende-eigentlich-Tote-Zauber denn noch, Sirius? Bis wann gilt Deine Sondergenehmigung?"

"Bis zum Morgengrauen", sagte sein Pate, "bis die Sonne über den Horizont im Osten steigt."

Sirius deutete vage in Richtung der großen, bodentiefen Fenster des Ballsaals, die mit schweren, schwarzen Samtvorhängen verschlossen waren.

"Aber mach' Dir keine Gedanken, Harry. Du sollst feiern und Spaß haben! Genieße die Party, solange sie dauert!"

Nur war Harry sich nicht mehr sicher, ob er das auch konnte und wollte.

Da fühlte er sich plötzlich rückwärts in eine herzliche Umarmung mit mehr als zwei Armen gezogen. Kurze, rosafarbene Stoppelhaare pieksten ihm in die Nase, während ihm kräftige Jungenhände freundschaftlich auf den Rücken klopften.

Nymphadora Tonks, fuhr es Harry durch den Kopf. Oder besser Nymphadora Lupin, korrigierte er sich in Gedanken, denn die junge Aurorin hatte nicht lange vor ihrem Tod seinen ehemaligen Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künsten, Werwolf und Freund, Remus Lupin geheiratet. Und vermutlich hätte sie ihm einen ordentlichen Stoß in die Rippen versetzt, hätte er sie jemals mit ihrem vollen Vornamen angesprochen.

"Tonks!" rief Harry aus.

"Harry!" rief die junge Frau zurück. "Es tut so gut, Dich zu sehen!"

Dann zog sie ihn wieder zurück in die Dreierumarmung mit dem sechzehnjährigen Selbst ihres Ehemannes.

"Harry!" sagte nun auch Remus Lupin und drückte ihn gleich noch einmal fester. "Wie man hört, hast Du Dich gut um unseren kleinen Teddy gekümmert."

Der Kloß in Harrys Hals wurde immer größer. Ted Lupin war sein Patensohn und nach dem Tod seiner Eltern bei der Schlacht um Hogwarts hatte er versucht für ihn da zu sein, so oft und so gut es ging. Teddy war hauptsächlich bei seiner Großmutter Andromenda Tonks aufgewachsen, hatte später aber immer mehr Zeit mit Harry und Ginny und noch später auch mit ihren Kindern verbracht und war so ein Teil der Familie geworden.

Als Tonks Harry wieder ansah, schwammen ihre Augen in Tränen.

"Es tut so weh, ihn nicht aufwachsen sehen zu können. Zu wissen, dass er allein da draußen ist, und wir ihm unsere Liebe nicht mehr zeigen und geben können!"

Harry begann zu zittern. Kein Kind sollte so früh seine Eltern verlieren, ohne die geringste Chance, sie überhaupt jemals kennenzulernen.

"Hört sofort auf, Harry zu deprimieren!" rief Sirius Black plötzlich laut dazwischen. "HARRY IST NICHT TOT! Dies ist eine PARTY! SEINE Party! Er soll noch einmal Spaß haben, bei Merlins Bart!"

Aber Harry hatte keinen Spaß. Er trieb dahin durch hämmernde Musik, schwebendes Kerzenlicht und das Meer aus bleichen Gesichtern sechzehnjähriger Toter. Der ganze Ballsaal schien sich nun um ihn zu drehen, bis sein Blick ein Augenpaar traf, das das gleiche Grün hatte, wie sein eigenes.

Lily Potter, die mit sechzehn Jahren noch Lily Evans gewesen war, nickte ihm wissend zu und zog ihn dann mit all ihrer Liebe an sich. Harry vergrub sein Gesicht in ihr langes, dunkelrotes Haar und weinte hemmungslos. All der Schmerz, all der Verlust in seinem Leben brach mit einem Mal aus ihm hervor.

"Mein Sohn", sprach seine Mutter ganz nah an seinem Ohr. "Ich war und bin immer bei Dir. Ich liebe Dich. Und ich kann nicht mit Worten ausdrücken, wie stolz ich auf Dich bin."

Harry taumelte von seinen Gefühlen überwältigt zurück.

Und sein Herz bekam einen kleinen Stich, als er bemerkte, dass der Junge, mit dem seine Mutter gerade getanzt hatte, nicht sein Vater war. Harry schnappte nach Luft. Neben Lily stand ein sechzehnjähriger Severus Snape, der ihm nun mit einem Blick aus dunklen Augen durch einen Schleier aus strähnigen, schwarzen Haaren leicht peinlich berührt zunickte.

In einer dunklen Welle schwappten Erinnerungen an über sechs Jahre Demütigungen, Gemeinheiten und Ungerechtigkeiten durch seinen Lehrer für Zaubertränke über Harry hinweg. Sicher, am Ende hatte sich herausgestellt, dass Snape die ganze Zeit auf der Seite Dumbledores und damit der Guten gestanden hatte, aber einige Schmerzen saßen einfach zu tief.

Harry driftete weiter durch die Partymeute. Fort von seiner Mutter. Fort von Severus Snape.

Da ließ ihm eine durchdringende Stimme das Blut in den Adern gefrieren.

"Nette Party, Potty-Baby!"

Diese dunkle, raue Stimme und ihr hysterisches Gelächter hatte ihn lange bis in seine tiefsten Alpträume verfolgt, gehörten sie doch der Wahnsinnigen, sie seinen Paten Sirius und später auch Dobby, den Hauselfen, getötet hatte. Bellatrix LeStrange stolzierte mit ihren schweren Augenlidern und wild nach allen Seiten abstehenden Haaren durch den Ballsaal ihrer Vorfahren, der altehrwürdigen Familie Black.

Die Musik verstummte mit einem Missklang. Und die Partygäste wichen vor ihr und ihren Begleitern, aber auch vor Harry zurück.

"Ja, nette Party, Potter!"

Harry verkrampfte sich vollständig beim Anblick des dunkelhaarigen und gutaussehenden Jungen, bei dem Bellatrix sich untergehakt hatte, und mit dem sie durch die Gasse der Kurzzeitig-lebenden-eigentlich-Toten jetzt langsam auf ihn zukam.

"Fehlen nur noch ein paar Veela-Kellnerinnen in knappen Kleidchen, oder Iggy?"

Der so angesprochene war ein sechzehnjähriger Todesser und ehemaliger Lehrer an der Zaubererschule von Durmstrang namens Igor Karkaroff, der nach Voldemorts erstem Sturz, nach seinem missglückten Todesfluch gegen Harry, der auf ihn selbst zurückgeprallt war, seine eigene Haut dadurch gerettet hatte, dass er andere Todesser an die Strafverfolgung durch das Zaubereiminsterium ausgeliefert hatte. Später hatten ihn der Dunkle Lord und seine Anhänger dafür in einer Hütte im Norden ermordet.

Der schwarzlockige Junge, der Bellatrix durch den Saal führte, hatte seinen anderen Arm eng um Karkaroffs Schultern gelegt, was diesem sichtlich unangenehm zu sein schien.

Doch Harry ignorierte Karkaroffs Versuche, sich aus dieser unbehaglichen Umarmung zu lösen und sich unter ihr wegzuducken, denn er hatte nur noch Augen für den Jungen mit dem spöttischen Blick in der Mitte zwischen Igor und Bellatrix.

Dieses Gesicht und diese Gestalt kannte er aus ihren eigenen Erinnerungen in ihrem Horkrux-Tagebuch und der Kammer des Schreckens. Diese Gestalt war der sechzehnjährige Tom Riddle, der schon damals seine finsteren und größenwahnsinnigen Pläne verfolgt und dafür gesorgt hatte, dass Harrys Freund Hagrid, der Halbriese, von der Schule geworfen wurde.

Und die ganze Zeit schienen Buchstaben und Worte vor Harry in der Luft zu schweben:

TOM VORLOST RIDDLE
IST LORD VOLDEMORT.

Die versammelte Menschenmenge hatte nun eine Gasse gebildet, die sich von der großen Doppelflügeltür des Ballsaals hinter Voldemort bis zu der mit Samtvorhängen verhangenen Fensterzeile hinter Harry erstreckte. Und eine beklemmende Stille hatte sich über den großen Raum gelegt, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

Es war wie damals in der Großen Halle in Hogwarts. Sie standen sich gegenüber. Sie würden sich umkreisen wie Kampfhähne kurz vor dem Angriff. Gleich würden Harry und Voldemort ihre Zauberstäbe zücken und sich ein letztes, tödliches Duell liefern. Denn Sirius hatte sich geirrt. Das sechzehnjährige Ich von Tom Riddle war eigentlich nicht ganz in Ordnung und hatte auch keinerlei Humor. Und ganz bestimmt war er keine gute Gesellschaft.

Zwar hatte er sich mit sechzehn noch den größten Teil seiner körperlichen Menschlichkeit bewahrt, aber er war doch noch immer für den Tod der meisten auf dieser Party versammelten Menschen verantwortlich. Auch wenn er noch seine Haare und noch keine roten Schlangenaugen hatte.

Als sich nun aber die große, hölzerne Flügeltür des Ballsaals laut quietschend öffnete, blieb Harrys Herz endgültig stehen. Denn nun betraten die Menschen die Festlichkeit, die ihm das Liebste und Teuerste im Leben und auf der ganzen Welt waren.

Da war seine Ehefrau Ginny mit ihren Kindern James Sirius, Albus Severus und Lily Luna. Seine besten Freunde Ron und Hermine Weasley mit ihrer Tochter Rose und ihrem Sohn Hugo. Arthur und Molly Weasley, seine Schwiegereltern, kamen herein mit ihren übrigen Kindern Bill, Charlie, Percy und George und deren Partnern und all ihren Nachkommen. Auch Ted Lupin und seine Freundin Victoire, die Tochter von Bill Weasley und seiner Frau Fleur, ehemals Delacour, waren da.

Sie alle waren sechzehn Jahre alt, trugen Festumhänge und Abendkleider und schauten sich verblüfft und erstaunt im feierlich geschmückten und erleuchteten Ballsaal des Black-Hauses um.

"NEIN!" schrieh Harry voller Verzweiflung und aus Leibeskräften. "Ihr seid nicht TOT! Ihr dürft nicht TOT sein!"

Die Tür zum Ballsaal fiel mit einem lauten, endgültigen Knall hinter ihnen ins Schloss. Harrys große Familie und auch der junge Dunkle Lord und seine Begleitung hatten sich zwischen die anwesenden Kurzzeitig-lebenden-eigentlich-Toten zurückgezogen, sodass Harry nun ganz allein in der Gasse zwischen Eingang und Fenstern stand. Durch die schweren Samtvorhänge drang ein Licht, das nicht vom Kerzenschein und auch nicht von der künstlichen Beleuchtung auf der Straße und dem Grimmauld-Platz vor dem Haus zu stammen schien.

Harry stand ganz still und bewegungslos da, den Blick fest auf das blank polierte Parkett zu seinen Füßen geheftet. Er bemerkte kaum, dass sich mit leisen Flügelschlägen eine weiße Schneeeule von der hohen, gewölbten Saaldecke herabschwang und leicht wie eine Feder auf seiner Schulter niederließ.

"Hallo, mein Junge!"

Er wirbelte herum, und brachte Hedwig damit dazu, aufzuflattern und sich auf der Glasvitrine mit der Uhr in seiner Nähe niederzulassen.

Harry glaubte, in einen Spiegel zu schauen. Der Junge, der ihm jetzt in der kleinen Gasse zwischen Eingangstür und Fensterzeile gegenüber stand, hatte seine Statur und seine unzähmbare, verstrubbelte Haarmähne. Er war in allem sein absolutes Ebenbild, nur seine Augen waren nicht grün wie Harrys, sondern braun.

"Dad?"

"Hallo, Harry."

Harrys Atem flatterte, und er runzelte verwirrt die Stirn.

"Das verstehe ich nicht. Du bist tot."

"Ja, das ist richtig."

"Wie kannst Du dann jetzt hier sein?"

"Wie kannst Du hier sein?"

Langsam begann es in Harry zu dämmern, und der verwirrte Ausdruck auf seinem Gesicht wich einem der Erkenntnis. Dies war kein vorübergehender Zauber, keine Sondergenehmigung. Dies hier war endgültiger.

"Ich bin auch tot."

Er begann zu schluchzen und brach erneut in Tränen aus.

"Ist schon gut. Ist schon gut. Ist schon gut, mein Junge."

James Potter nahm seinen bebenden Sohn in den Arm und ließ ihn sich an seiner Schulter ausweinen.

"Ich liebe Dich, Dad."

"Ich Dich auch, mein Junge."

"Bist Du… Bist Du echt?"

"Das will ich doch hoffen. Ja, ich bin echt. Du bist echt. Alles, was Dir je widerfahren ist, ist echt. All die Menschen hier im Ballsaal – die sind auch alle echt."

Harry löste sich aus der Umarmung und sah an sich hinunter. Er war nun kein sechzehnjähriger Junge mehr. Er war jetzt der alte, zufriedene Mann und Familienvater, als der er gestorben war. Sirius' Kurzzeitig-lebende-eigentlich-Tote-Zauber schien seine verjüngende Wirkung verloren zu haben. Auch alle anderen Party-Gäste sahen jetzt wieder so aus wie zum Zeitpunkt ihres Todes.

"Sind sie… sind sie alle tot?"

"Junge, jeder muss irgendwann mal sterben. Manche von ihnen vor Dir, manche lange nach Dir."

"Aber wieso sind sie jetzt alle hier?"

"Weißt Du, es gibt kein Jetzt, kein Hier."

"Wo sind wir, Dad?"

"Diesen Ort habt ihr, den haben wir alle zusammen erschaffen, damit wir uns nun wiederfinden können. Weißt Du, die wichtigste Zeit Deines Lebens war die, die Du mit diesen Menschen verbracht hast. Darum sind wir alle hier. Niemand stirbt allein, Harry. Du hast sie gebraucht und sie Dich."

"Wofür?"

"Um uns zu erinnern und um loszulassen."

"Werden wir denn von hier weggehen?"

"Nicht weggehen, nein. Wir gehen weiter."

"Wir gehen weiter? Wohin?"

"Lass es uns herausfinden."

Noch einmal nahm James Potter, der bei dem Versuch gestorben war, seine Frau und seinen Jungen zu beschützen, seinen gealterten Sohn in den Arm, dann zog er seine Lily ganz nah an sich heran.

Ginny Potter, nun wieder ganz die alte, grauhaarige Frau, als die sie friedlich im Kreis ihrer Familie eingeschlafen war, hauchte Harry einen Kuss auf die Wange und lächelte ihm aufmunternd zu. Sie nahmen einander bei der Hand und verschränkten zärtlich ihre Finger ineinander. Hedwig, die Schneeeule verließ ihren Sitzplatz auf der Vitrine, hockte sich wieder auf Harrys Schulter und knabberte ihm zärtlich am Ohr.

Überall im Ballsaal begrüßte man sich wie alte Bekannte oder wie gerade aus einem wilden Rausch oder tiefem Schlaf erwacht. Ein tiefer Frieden lag über allem und jedem. Harry sah Mad-Eye Moody, jetzt wieder mit allen Narben, einem Holzbein und seinem magischen Auge. Er sah wie George Weasley seinen Zwillingsbruder Fred umarmte. Und er sah wie Tonks und Lupin ihren Sohn Teddy endlich wieder in die Arme schlossen.

Dann ergriff James Potter Lilys Hand und blinzelte seinem Sohn vielsagend zu.

"Es wird Zeit!" sagte er und alle im Ballsaal hörten es und wandten sich ihm voller Vorfreude und freudiger Erwartung zu.

Er trat an eines der bodentiefen Fenster und zog den schweren, schwarzen Samtvorhang zur Seite. Ein helles, blendend-weißes Leuchten erfüllte den Ballsaal und die ganze Welt. Und als James die Fensterflügel weit geöffnet hatte, traten sie alle gemeinsam hinaus ins Licht.

[first published August, 9th 2011 – October, 31th 2012]

Samstag, 1. September 2012

Wie Ron Weasley Asmodeus traf…

Schandtat Numero 32

"Bitte, bitte lass mich raus!"

Ronald Bilius Weasley, ein sehr rothaariger und sehr sommersprossiger Junge von gerade mal elf Jahren, blieb erstaunt stehen und sah sich um. Wer hatte da gerufen? Seine jüngere Schwester Ginny, mit der er gerade hier am Strand Verstecken spielte, konnte es nicht gewesen sein, denn die hatte er gerade einige hundert Meter weiter die Küstenlinie hinauf zwischen hohen Felsen verschwinden sehen. Ron drehte sich suchend im Kreis, wobei der grobe Kies unter seinen Füßen laut knirschte. Die Stimme war von irgendwo unten am Boden, vielleicht auch aus dem Wasser gekommen.

Ron schaute den grobkörnigen Strand zurück. Dort drüben, vor einer Düne, knapp unterhalb des Ufergrases war der Rest seiner Familie, jedenfalls der Teil, der noch in ihrem Haus, dem Fuchsbau, in der Nähe des Muggelortes Ottery St. Catchpole, in der Grafschaft Devon, etwas dreihundert Kilometer westlich von London lebte.

Seine beiden ältesten Brüder, Bill und Charlie, waren bereits ausgezogen, nachdem sie die Schule für Hexerei und Zauberkunst von Hogwarts beendet hatten – Charlie erst in diesem Jahr vor den Sommerferien. Die beiden begleiteten sie nicht auf diesem Familienausflug an die Atlantikküste. Seine Mutter, Molly Weasley, unterhielt sich gerade mit seinem Vater Arthur und packte dabei einen großen Picknick-Korb aus. Percy, sein drittältester Bruder, der im Spätsommer sein fünftes Jahr in Hogwarts beginnen würde, lag auf dem Bauch auf einem grünen Handtuch, die Nase tief in einem Buch vergraben. Er versuchte dabei, ein Sonnenbad zu nehmen, um seiner blassen Haut etwas Farbe zu geben, obwohl es an diesem Morgen wolkig und bedeckt war. Leider bemerkte er dabei nicht Fred und George, die Zwillingsbrüder, die sich mit einem Eimer voller Meerwasser und etwas, das wie eine große, durchsichtige und glibberige Qualle aussah, an ihn heranschlichen.

Sonst war niemand zu sehen. Die Mitglieder der Familie Weasley, die den ersten Tag der Schulferien und von Arthurs Urlaub genossen, schienen die einzigen menschlichen Wesen an diesem Strand und zu dieser Tageszeit zu sein. Wer fuhr auch schon freiwillig an so einen von allen guten Geistern verlassenen Ort?

Cederic Diggory, ein junger Zauberer aus der Nachbarschaft in Freds und Georges Alter, und seine Eltern waren jetzt sicher schon auf dem Weg in die Regenwälder Borneos. Das hatte Amus Diggory, Cederics Vater und Kollege im Zaubereiministerium, jedenfalls Rons Vater erzählt. Wo Xenophilius Lovegood und seine Tochter Luna, die Rons Schwester Ginny aus der kleinen, magischen Grundschule in Ottery St. Catchpole kannte, waren, daran wollte er lieber gar nicht erst denken. Nach dem, was er aus den Erzählungen von Molly und Arthur und vor allem dem Tratsch von Tantchen Muriel herausgehört hatte, mussten die Lovegoods sehr besondere und eigenartige Leute sein. Wahrscheinlich kletterten sie gerade durch den Himalaya auf der Suche nach dem Yeti oder irgendeinem anderen fabelhaften Wesen.

Aber die waren wenigstens weiter weg von Ottery St. Catchpole und von Zuhause als er, wie auch die meisten anderen Zaubererkinder aus der kleinen, magischen Grundschule, die Ron bis vor den Sommerferien besucht hatte. Am 1. September würde er zum ersten Mal vom Bahnhof King's Cross in London aus mit dem Hogwartsexpress zur Schule für Hexerei und Zauberkunst von Hogwarts fahren und dort sein erstes Schuljahr beginnen.

Für die sieben Weasleys hatte es also in diesem Jahr wieder nur zu einem knapp einstündigen Flug in einem unsichtbaren und eben fliegenden Ford Anglia gereicht und zu einer Woche Camping in einem alten und von Motten zerfressenen Zelt, das nach Katzenpipi roch. Sie waren nicht reich, und so musste eine Woche Baden am steinigen Strand und im kalten Wasser des Atlantiks reichen. Ron hatte sogar seinen Vater im Verdacht, dass dieser heimlich nachts, wenn alle schliefen, nach London apparierte, um in seinem Urlaub Überstunden zu machen, damit er ihre Urlaubskasse etwas aufbessern konnte. Arthur Weasley arbeitete für das Zaubereiministerium in der Hauptstadt und war in der Abteilung gegen den Missbrauch von Muggelartefakten beschäftigt.

Warum nur kamen Ron plötzlich diese Gedanken? Vor wenigen Minuten hatte er sich noch mit seiner neunjährigen Schwester Ginny amüsiert und war mit ihr durch Wasser und Felsen getollt. Er wusste, dass sich seine Familie finanziell keine großen Sprünge erlauben konnte, aber bislang hatte ihn das nicht weiter gestört. Er hatte immer genug zu essen, ein Dach über dem Kopf und immer Menschen um sich herum, die ihn liebten und die er liebte. Woher dann also plötzlich diese bitteren Gedanken wegen ihres einfachen und bescheidenen Urlaubs?

"Bitte, bitte hilf' mir, Junge!"

Da war diese Stimme schon wieder, irgendwie gedämpft, leicht verzweifelt, aber auch mit einem irgendwie bedrohlichen Unterton. Ron schaute hinter einen großen Stein, der gerade von einer schäumenden Welle umspült worden war. Er glaubte, von dort noch ein anderes Geräusch gehört zu haben, wie Glas, das gegen etwas Hartes stieß. Und als sich das trübe und weiß schäumende Meerwasser wieder zurückzog, um für eine neue Brandung Anlauf zu nehmen, sah er sie:

Eine große, gewölbte Flasche mit einem langen Hals und einer Verkleidung aus angelaufenen Kupferstreifen, die fest von einem großen, runden Korken wie dem von einer Sektflasche verschlossen war. Der Pfropfen selbst war noch mal mit einem Ring aus Kupfer am Flaschenhals befestigt. Und zwischen den Kupferstreifen am Flaschenkörper konnte Ron wie durch kleine, durchsichtige Fenster im Inneren ein Gewölk und Gewirbel aus gelblichem Rauch erkennen. Von dort kam auch die seltsame Stimme, die allmählich etwas ungeduldig zu werden schien.

"Mach' schnell!" verlangte sie. "Zieh' wenigstens meine Flasche an Land, bevor sie wieder auf 's Meer hinaus gespült wird! Langsam wird mir ernsthaft schlecht von der dauernden Schaukelei!"

Ron kniete nieder, befreite die Flasche von Sand, Steinchen und Algen und hielt sie am Hals in die Luft. Der Rauch darin schien immer bewegter und lebhafter zu werden und langsam die Farbe hin zu einem giftigen Grün zu wechseln. Ron schüttelte die Flasche und drehte sie hin und her. Im Inneren klimperte etwas wie ein kleiner, unscheinbarer Ring gegen die Glaswände. Ron war begeistert von seinem Fund. Die anderen würden vielleicht Augen machen. Endlich hatte er etwas, das ganz allein ihm gehörte. Endlich etwas, das er nicht mit seinen Brüdern und seiner Schwester teilen musste. Und auch endlich etwas, das er nicht nur deshalb haben oder benutzen durfte, weil seine Geschwister es abgelegt hatten.

"Was bist Du?" fragte er neugierig, den Mund ganz nah am Bauch der Flasche. "Bist Du eine Art Flaschenpost?"

Er drehte sie mit dem Boden nach oben und schüttelte abermals, doch er konnte keine Schriftrolle darin entdecken. Stattdessen fiel der kupferfarbene Ring nach unten und prallte von dem hölzernen Korken ab.

"Ich bin der große Asmodeus, Südafrikas größter, einflussreichster und gefährlichster Teu…" Der Rauch im Inneren der Flasche hatte sich kurz zu einer winzigen Gestalt verdichtet. Ron erkannte jetzt im Giftgrün ein langes, spitzes Gesicht mit tiefen Furchen und langen Zähnen, dazu lange, gezackte Fledermausohren. Und was war das da auf dem kleinen Kopf? Knapp oberhalb der Stirn? Waren das etwa zwei winzig kleine Hörner? Außerdem hatte das Ding in der Flasche einen langen, am Ende gegabelten Schwanz, und seine ansonsten menschenähnlichen Beine liefen in Hufen wie von einer Ziege aus statt in menschlichen Füßen mit Zehen und Nägeln. Und seine Finger glichen scharfen, krummen Krallen.

Das Ding schien zu bemerken, dass Ron leicht vor ihm zurückwich, denn schnell löste es sich wieder in dichten Rauch auf und murmelte zu sich selbst: "Ich muss damit aufhören, allen meinen Namen zu verraten und mich in meiner wahren Gestalt zu zeigen. Seekrankheit hin oder her!"

Laut sagte Asmodeus: "Und was bist Du, Du fleckiges Sprossengesicht? Ein rothaariger, irischer Leprechaun-Kobold, oder was?"

Rons Augenbrauen zogen sich ärgerlich enger zusammen. So eine Unverschämtheit! Er und ein Kobold? Er war schon immer groß und schlaksig gewesen, jedenfalls größer als die meisten anderen in seinem Alter. Also weit entfernt von der Größe eines Kobolds oder eines Leprechauns!

Als hätte der Geist in der Flasche seine Gedanken gelesen, versuchte er zu beschwichtigen: "Ja, ja, ist ja schon gut. Ich kann erkennen, was für ein großer und stattlicher Junge Du bist. Und wie es aussieht bin ich hier wirklich jenseits von Afrika!"

Den letzten Satz verstand Ron nicht. Aber er hatte mit einem Mal das Gefühl, jemand oder etwas sei in seinen Kopf eingedrungen und spaziere nun darin herum. Es war, als rissen unsichtbare Hände oder Pranken Türen und Schubladen in seinem Geist auf, um irgendetwas zu suchen und zu finden, Gedanken oder Erinnerungen, Dinge, die ihn möglichst freundlich und friedlich stimmen würden. Und hatte er wirklich mit dem Flaschengeist – Denn was anderes sollte es sein? – gesprochen oder konnte er dessen Gedanken in seinem Kopf hören?

Er hatte schon einige unschöne Geschichten über Flaschengeister oder Dschinn gehört und wusste, dass man sie auf keinen Fall aus ihren Flaschen oder Wunderlampen befreien durfte. Meistens hatte es gute Gründe, dass sie in ihren Gefängnissen saßen. Man durfte sie nicht freilassen, egal, was sie einem auch versprachen. Und irgendwie bezweifelte er auch, dass es ihm gelingen würde, den Flaschengeist mit einer List wieder in die Flasche zurückzubekommen. Und nun mal ehrlich. Wäre es nicht total unklug und durchschaubar, wenn er behaupten würde, er glaube nicht, dass so ein Dschinn oder was auch immer, einmal freigelassen, jemals wieder in die kleine Flasche passen würde, nur um ihn genau dorthin zurückbringen, hätte er erst einmal den Stöpsel gezogen? Nein, viel besser wäre es, wenn er die Flasche ganz einfach geschlossen ließ.

"So, fangen wir doch noch mal von vorne an!" sagte der Flaschengeist, der sich selber Asmodeus genannt hatte. Er hatte jetzt die Form einer gelblich grünen Flüssigkeit angenommen und schwappte in Wellenbewegungen im bauchigen Rund der Flasche hin und her. "Am besten vergisst Du den Namen Asmodeus ganz schnell wieder. Und ich garantiere Dir, ich bin kein Flaschengeist und auch kein Dschinn!"

Ha, das konnte ja jeder behaupten, dachte Ron. "Und was bist Du dann?" fragte er laut. "Und was willst Du von mir?"

"Ich bin ein ehrenwertes, aber fremdländisches magisches Wesen", säuselte der Flaschengeist, der behauptete kein Flaschengeist zu sein und nicht Asmodeus zu heißen. "Fürchterliche und ungerechte Umstände und Menschen haben mich vor langer, langer Zeit in diese missliche Lage gebracht. Ich bin ein Opfer und Gefangener der Umstände und von Neid und Missgunst, die der Erfolg nun mal so mit sich bringt."

Ron verstand kein Wort. "Und was willst Du von mir?" fragte er noch einmal eher gelangweilt.

"Also schön", schnaubte der Flaschengeist und leierte einen Text herunter, den er schon unzählige Male aufgesagt haben musste: "Bitte, bitte lass mich raus! Es soll Dein Schaden nicht sein."

Jetzt wurde Ron wieder hellhörig. Vielleicht sprang ja doch noch etwas für ihn dabei heraus. "Was bekomme ich dafür, wenn ich Dich rauslasse?" fragte er frech.

"So schwer ist es doch nun wirklich nicht!" zischte das Wesen, das nicht wollte, dass man wusste, dass es Asmodeus genannt wurde, irgendwo in der Nähe von Rons linkem Ohr und hinter seinem linken Auge. "Du brichst einfach den verdammten Kupferring am Flaschenhals auf und ziehst den Korkpfropfen raus, dummes Kind!"

Also doch gefährlich, dachte Ron und war stolz auf seine eigene Schläue und Klugheit. Er wollte gerade ausholen und die seltsame Flasche soweit es ging zurück auf 's Meer hinaus werfen, als der Flaschengeist wieder einlenkte.

"Also gut, also gut!" säuselte er. "Der Ring hier in meiner Flasche, der, der so schön klappert und klimpert, wenn man sie bewegt, das ist ein mächtiger Zauberring. Wer ihn trägt und benutzt kann jeden noch so schweren und komplizierten Zauber auf dieser Welt wirken."

Ron zögerte einen Moment, und Asmodeus fuhr listig fort: "Leider ist er zu groß, als dass er durch den Flaschenhals passen würde. Du musst die Flasche schon zerschlagen, um an den Ring zu kommen." Nach einer kurzen Pause setzte er mit einem Flüstern, das durch das Glas der Flasche wie das Summen eines Insekts klang, hinzu: "Auch wenn der Ring gar keine magischen Fähigkeiten hat und nur ein Köder war, mit dem der Geisterabfüller mich damals am Kap in die Falle sprich Flasche gelockt hat!"

Ron stutzte. Für wie dumm hielt dieses Ding ihn eigentlich? Er hatte das mit dem Ring gehört und sehr wohl auch verstanden. Er holte erneut aus, und das kleine Männlein im Inneren der Flasche stampfte ärgerlich vor Wut über die eigene Dummheit mit den Ziegenhufen auf, bevor es wieder seine Gestalt aufgab.

"Na schön, na schön", wagte Asmodeus einen neuen Versuch. "Wenn Du mich rauslässt und hinterher darauf verzichtest, mich wieder in die Flasche einsperren zu wollen, indem Du behauptest, ich sei doch viel zu groß für diese kleine Flasche gewesen und ich wäre ja nie und nimmer in der Lage, mich so klein zu machen, dass ich wieder in die Flasche passen würde, dann gebe ich Dir die Wahl."

Irgendwie schien der Flaschengeist tatsächlich seine wirren Gedanken zu lesen, dachte Ron. Oder tatsächlich in seinem Kopf zu sitzen.

"Na?" Ron blickte wieder direkt in die Flasche. Die rauchige, gelblich grüne Flüssigkeit ballte sich seinem Gesicht entgegen. Gleichzeitig hörte er etwas wie das Kratzen von harten Nägeln auf Glas. "Bist Du interessiert? Du hast die Wahl. Wenn Du mich von diesem Stöpsel und aus der Flasche befreist, dann erfülle ich Dir drei Wünsche. Danach bin ich endgültig frei und Du siehst mich nie wieder."

Ja, ja, genau wie in den Geschichten, die er schon gehört oder gelesen hatte, dachte Ron, wenig überzeugt.

"Oder ich erfülle Dir einen großen, entscheidenden Wunsch und bin danach auf alle Zeit Dein treuer und untertäniger Diener."

Ron hatte keine Ahnung, welche großen und entscheidenden Wünsche dieser Flaschengeist meinen konnte.

"Ich mache Dich zum Besitzer eines gutgehenden, magischen Gasthauses!" verkündete Asmodeus, der nicht so genannt werden wollte. Komisch, dachte Ron. Vor wenigen Augenblicken hatte er an Tom, den Wirt des Gasthauses Zum Tropfenden Kessel denken müssen. Er hatte kurz daran gedacht, wie er vor zwei Jahren Fred und George in die Winkelgasse hatte begleiten dürfen, kurz bevor seine Zwillingsbrüder zum ersten Mal nach Hogwarts gefahren waren. Er war tief beeindruckt gewesen von der großen Muggelstadt London und wäre beinahe umgekippt vor Staunen, als die Backsteinwand im Hinterhof des Tropfenden Kessels plötzlich zur Seite geglitten war und den Blick auf die Winkelgasse freigegeben hatte. Aber was in aller Welt sollte er selbst mit so einem Gasthaus? Er wusste zwar noch nicht genau, was er mal werden wollte, aber er wusste mit Sicherheit, dass er kein Wirt werden wollte.

"Na gut", brummelte Asmodeus. "Ich mache Dich zum… zum… zum…" Der Flaschengeist schien Rons Geist nach einem mächtigen und einflussreichen Posten in seiner Welt zu durchsuchen. "Ich mache Dich zum Zaubereiminister, wenn Du den Korken aus der Flasche ziehst!"

Ron runzelte die Stirn. Warum sollte er den öden und langweiligen Bürojob von Cornelius Fudge, dem Chef seines Vaters haben wollen? Er schüttelte den Kopf. So ein Quatsch! So etwas konnte man doch nicht freiwillig machen! Und diese komischen Nadelstreifenumhänge, die der immer trug!

"Schon gut! Schon gut!" brummte Asmodeus schnell. Er hatte wohl kurzzeitig vergessen, dass er es hier mit einem noch relativ jungen Kind zu tun hatte und dass sich kleine Jungen wohl etwas anderes wünschen würden. "Dann mache ich Dich eben zu dem hier…"

Im nächsten Augenblick stand Ron nicht mehr am steinigen Strand des Atlantiks. Um ihn brauste und toste noch immer das Meer. Die Luft schmeckte nach wie vor salzig. Und der Wind blies ihm in einer steifen Brise in den Rücken. Aber er stand in einem geflochtenen Aussichtskorb an der Spitze des Mastes eines gewaltigen Segelschiffes. Unter ihm ballten sich große, schwarze Segel im Wind, die sie nur so über das Wasser dahinfliegen ließen. Das Schiff pflügte die Wellen, sodass die Gischt vom Bug in feinen Tropfen bis zu ihm herauf spritzte. Sein weites, weißes Hemd bauschte sich um seinen kräftigen, muskulösen Oberkörper. Die Enden eines schwarzen Kopftuches flatterten ebenso um ihn herum wie die Ränder der blutroten Schärpe, die er über der schwarzen Hose um den Bauch trug. Und er hatte einen verwegenen roten Pferdeschwanz, wie sein Bruder Charlie ihn trug.

Er war der Captain dieses Schiffes. Er allein hatte hier das Sagen. Ein Blick auf die schwarze Flagge mit dem weißen Totenschädel und den gekreuzten weißen Knochen darunter an der obersten Spitze des Mastes sagte es ihm. Er war ein großer Pirat. Der gefürchtetste und mutigste Pirat, den die sieben Weltmeere je gesehen hatten. Er war Ron Weasley, auch bekannt und gefürchtet unter dem Namen: Der Rote! Er war berühmt. Er war berüchtigt und gleichzeitig beliebt in seiner Mannschaft. Und jede seiner Kaperfahrten war stets ein großer Erfolg gewesen. Er sog tief die brausende Luft in sich ein, schmeckte das Salz auf seinen Lippen und genoss das Wasser auf seinem Gesicht.

Dann kletterte er in seinen hohen, weichen Lederstiefeln wieselflink in der Takelage auf das Deck hinunter. "Übernimm den Ausguck, Matrose!" rief er einem älteren Mann zu, der ihn verdächtig an seinen Bruder Bill erinnerte. Dann stieg er die breite Leiter hinunter unter Deck.

Und zugleich stand er noch immer am Ufer in unmittelbarer Nähe der schäumenden Brandung und hielt die kupferverkleidete Flasche aus dem dicken Glas in der Hand. Wie versteinert stand er da und starrte in die grinsende Fratze von Asmodeus, der ihm einen wilden und abenteuerlichen Tagtraum schenkte.

"Ron, was machst Du denn da?" Das war die Stimme seiner Schwester Ginny, die es wohl satt hatte, darauf zu warten, von ihm gefunden zu werden. "Spielst Du nicht mehr mit mir?" Sie kam näher an ihn heran. "Und was hast Du da eigentlich? Ron? Ron?" Er konnte sie hören, aber er konnte ihr nicht antworten, denn er war nicht nur hier am Strand.

Er war auch im Bauch der Albatros, seines Piratenschiffes, und sprach mit seinem Bootsmann, der verblüffende Ähnlichkeit mit Percy, seinem drittältesten Bruder hatte. "Die Jagd nach dem Schatz des Grafen Asmodeus war ein voller Erfolg, mein Herr!" sagte Bootsmann Percy und gab ihm den Weg frei. "Wir haben alles katalogisiert und dann in Ihrer Kabine aufschichten lassen, Sir!"

Ron stieß eine hölzerne Doppeltür am Ende eines Ganges unter Deck auf und betrat seine Kabine. Draußen war seine Mannschaft versammelt und applaudierte und jubelte ihm zu. Und vor ihm häuften sich Golddublonen, goldene Becher und Krüge, Geschmeide, Schmuck und Edelsteine.

"Das ist der Schatz des Asmodeus!" surrte eine Stimme zwischen seinen Ohren, leise wie eine Stechmücke in der Dunkelheit. "Du wirst nie wieder die Kleider Deiner älteren Brüder auftragen müssen, nie wieder ihre zerfledderten Schulbücher benutzen oder ihre abgelegten Haustiere weiter versorgen müssen."

"Ron? Was ist denn nur los? Du machst mir Angst! Hör auf damit!" Das war wieder Ginnys Stimme, die jetzt mehr als nur beunruhigt klang. "Ich sage es Mum und Dad. Ich hole sie hier her. Rede doch endlich mit mir!" Doch statt eine Antwort zu geben, drückte Ron nur die merkwürdige Flasche fester an seine Brust.

"Mum! Dad!" schallte Ginnys Stimme nun den Strand entlang, während sie auf das Picknick-Lager der Familie zu lief und der kiesige Sand unter ihren Füßen knirschte. "Kommt schnell! Ron benimmt sich ganz, ganz komisch."

"Und Du wirst nie wieder in geborgten, schäbigen Zelten Urlaub machen müssen!" fuhr die Stimme des grünen Flaschengeistes in Rons Kopf fort. "Du wirst die Welt sehen und bereisen können. Alles mit den Galleonen und Knuts, die ich Dir beschaffen werde. Und alles, was Du tun musst, ist, den Kupferring aufbrechen und den Stöpsel aus der Flasche ziehen. Komm' schon! Sei ein braver, kleiner Junge! So schwer kann es doch nicht sein!"

Rons Hand bewegte sich wie ferngesteuert den Flaschenhals hinauf. Und während er in der Kabine im Bauch des Piratenschiffes die Fingerspitzen über eine besonders prächtige und kostbare Kette aus dunklem Gold und Rubinen gleiten ließ, setzten seine Finger am Strand einen spitzen Stein an den Kupferring, mit dem der Korken zusätzlich am Flaschenhals gesichert war.

Asmodeus hatte wieder seine körperliche Gestalt angenommen und schaute ihm aus gierigen Augen dabei zu. Er hüpfte aufgeregt von einem Huf auf den anderen, während sein Schwanz von einer Seite zur anderen schwang. Er hatte sich ganz dicht an das Glas gepresst und kratzte mit seinen langen, scharfen Krallen daran. Ja, noch ein letzter Hieb mit dem Stein, dann wäre das Kupfersiegel gebrochen. Dann noch den Korken, den vermaledeiten Pfropfen und Stöpsel aus der Flasche und er wäre endlich wieder frei! Frei! Frei!

Eilige Schritte knirschten über den Kies. Mit gezücktem Zauberstab donnerte Arthur Weasley einen unverständlichen Zauberspruch in die Richtung der Flasche. Ein wütender Aufschrei drang durch das unzerbrechliche Glas nach draußen. Die kleine, gehörnte Gestalt im Inneren stampfte wütend auf den Flaschenboden. Das grüne Gesicht glich einer Teufelsfratze, und weißer Rauch des Zorns stieg zischend aus den Fledermausohren. Er war so nah dran gewesen, so nah, wie lange nicht mehr.

Ron spürte einen elektrischen Schlag wie einen kleinen Blitz durch seine Finger fahren. Er ließ den Stein fallen, bevor dieser den Kupferstreifen auch nur berühren konnte. Dann flog die Flasche in hohem Bogen durch die Luft und landete mit einem lauten Platschen und einer weißen Wasserfontäne ein gutes Stück vom Ufer entfernt. Eine kurze Zeit nickte noch der Flaschenhals mit dem scheinbar unverrückbaren Korken darin auf den Wellenkämmen auf und ab, dann ging die Flasche unter, und Ron sah sie nie wieder.

Arthur Weasley drückte seinen Sohn fest an sich. Ron zitterte leicht, atmete aber erleichtert auf, als das Gefühl, seinem Vater die Augen auskratzen zu wollen, verflogen war. Was war da nur gerade passiert, fragte er sich. War er tatsächlich auf einen bösen Flaschengeist und seine falschen Versprechungen reingefallen?

"Was machst Du denn für Sachen?" fragte Arthur leise. Das Bild des rasenden Wesens in der Flasche, das sich kurze Zeit später in wabernden Rauch aufgelöst hatte, wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen.

"Er wollte, dass ich ihn rauslasse!" stöhnte Ron. "Aber ich glaube, er war böse und hat nur gelogen!"

"Junge, Junge, Junge!" sagte Arthur, meinte es aber gar nicht streng oder böse. "Hab ich Dir denn gar nichts beigebracht?" Er tätschelte Ron beruhigend die Schulter. "Was hab ich immer gesagt? Trau nie etwas, das selbst denken kann, wenn Du nicht sehen kannst, wo es sein Hirn hat!"

Ron nickte stumm und schluckte schwer.

"Spielen wir jetzt endlich weiter?" wollte Ginny wissen. "Du bist immer noch dran mit Suchen, Ron!" Und sie ahnte nicht, dass sie genau die Worte in einigen Jahren noch einmal von ihrem Vater zu hören bekommen würde, am Ende ihres ersten Schuljahres in Hogwarts, um genau zu sein.

"Genug gespielt!" verkündete Arthur und kam aus der Hocke hoch, in der er Ron gehalten und getröstet hatte. Er deutete auf den Rest der Familie, der interessiert und auch etwas besorgt von ihrem Picknick-Platz zu ihnen herüberschaute. Alle, bis auf Percy, der noch immer in seinem Buch las, was auch prompt von Fred und George bestraft wurde, die nun den Eimer mit kaltem Meerwasser und der glitschigen Qualle über dem nackten Rücken ihres älteren Bruders ausleerten.

"Mum hat ein gutes Essen für uns alle zubereitet. Wir sollten sie nicht warten lassen." Arthur nahm seine beiden jüngsten Kinder an beide Seiten und legte ihnen die Hände auf die Schultern. Gemeinsam gingen sie den Strand entlang und schauten zu ein paar Möwen hinauf, die sich in den teilweise bedeckten Himmel erhoben, gerade als ein heller Sonnenstrahl hindurch brach.

* * *

Und langsam gerieten Rons ungewöhnlicher Fund und das ganze Ereignis dieses Sommers in Vergessenheit, besonders als er im Spätsommer nach den Ferien auf der Zugfahrt zu seiner neuen Schule einen jungen Zauberer namens Harry Potter kennenlernte und mit ihm und ihrer besten Freundin Hermine Granger in den nächsten Jahren die aufregendsten Abenteuer erlebte.

Erst viele, viele Jahre später – er war inzwischen mit dieser Hermine, einem Mädchen, das er und Harry am Anfang gar nicht hatten ausstehen können, weil es so neunmalklug und besserwisserisch gewesen war, verheiratet und hatte zwei wundervolle Kinder mit ihr – kam die Erinnerung mit einem Schlag zurück.

Es war ein düsterer, regnerischer Nachmittag, und Ron hatte es sich gerade mit dem Tagespropheten und einer Tasse Tee in seinem Lieblingssessel am Fenster des Wohnzimmers bequem gemacht, als er hörte, wie Hermine der kleinen Rose und dem kleinen Hugo ein altes, südafrikanisches Muggelmärchen vorlas.

Fast hätte er seinen Tee durch den Raum geprustet, als er die Geschichte von Asmodeus und dem Geisterabfüller zu hören bekam. Gebannt hing er an den Lippen seiner Frau, als sie von Asmodeus, dem Jungteufel erzählte, der damit beauftragt worden war, am Kap von Afrika eine Filiale der Hölle aufzubauen und zu verwalten. Gespannt hörte er zu, wie ein Scheich im Auftrag des Kap-Gouverneurs mit List und Tücke und mithilfe eines angeblich magischen Kupferrings den Dämon dazu gebracht hatte, sich in Rauch zu verwandeln und ins Innere einer großen Glasflasche mit Kupferverkleidung zu fahren, um eben jenen angeblich magischen Ring herauszuholen. Der Scheich oder auch Geisterabfüller hatte die Flasche mit einem großen, runden Korken verschlossen, mit einem zusätzlichen Kupferring gesichert und so den Jungteufel für lange Zeit eingesperrt. Doch anstatt ihn dem Kap-Gouverneur auszuliefern, hatte er die Flasche ins Meer geworfen.

Nach einer langen Irrfahrt und einigen vergeblichen Versuchen, Fischer und andere Muggel dazu zu bewegen, ihn aus der Flasche zu lassen, war Asmodeus schließlich einer Kap-Languste zwischen die Kiefer und Zangen geraten, und hatte ihr bis an ihr Lebensende dienen müssen, nachdem sie ihn schließlich befreit hatte.

Die Kinder schienen weniger beeindruckt von der Geschichte zu sein als ihr Vater, der noch immer mit offenem Mund und gesenkter Zaubererzeitung in seinem Sessel saß, als Hermine aufgehört hatte, vorzulesen.

"Haben wir noch Flohpulver?" fragte die kleine Rose und sprang vom Sofa. "Ich muss unbedingt noch mal mit Lily sprechen wegen dem Geburtstagsgeschenk, das wir für Oma Molly basteln wollen!" Als Hermine nickte, eilte sie zum Kamin im Flur.

Ihr jüngerer Bruder Hugo schlurfte hinter ihr her. Auf Hermines Frage, was er noch so vorhabe, meinte er ausweichend, er wolle den großen, rötlichen Kater Krummbein den Dritten bürsten. Ron bezweifelte das. Sicher würde er sich mit dem Katzentier wieder einmal auf dem Dachboden auf die Lauer legen und Fledermäuse jagen, dachte er zerstreut.

Hermine klappte das Märchenbuch mit den afrikanischen Märchen zu und zuckte die Schultern. Sie kam zu ihm herüber und setzte sich neben ihn auf die Lehne seines Sessels.

"Was ist los mit Dir, Won-Won?" fragte sie augenzwinkernd und zerzauste ihm dabei das rötliche Haar. "Du siehst irgendwie aus, als hättest Du gerade eine besonders dicke, fette Spinne gesehen."

Ron überhörte den alten Spitznamen aus längst vergangenen Zeiten, den sie manchmal benutzte, um ihn aufzuziehen. Er nahm noch einen Schluck Tee, schüttelte sich aber, weil der längst kalt und irgendwie bitter geworden war.

"Glaubst Du, es gibt diesen Asmodeus, diesen Jungteufel wirklich?" fragte er nach einer Weile, in der sie eng aneinandergeschmiegt dem Prasseln des Regens gelauscht hatten.

"Viele Märchen haben einen wahren Kern", meinte Hermine. "Hast Du doch bei dem Märchen von den Drei Brüdern von Beedle dem Barden und den Heiligtümern des Todes gesehen. Und wenn das für Zauberermärchen gilt, warum dann nicht auch für Muggelmärchen? Warum fragst Du?"

Da erzählte er ihr, wie er in dem Sommer vor ihrem ersten Schuljahr in Hogwarts an der Atlantikküste Englands jene verkorkte Flasche gefunden, einen vermeintlichen Flaschengeist namens Asmodeus getroffen und ihn beinahe aus seinem Gefängnis befreit hatte.

"Glaubst Du, er hätte mir auch bis an mein Lebensende gedient und mir alle meine Wünsche erfüllt wie diesem Langustentier, wenn ich ihn aus der Flasche gelassen hätte?" fragte er anschließend.

Hermine drehte noch immer gedankenverloren eine seiner roten Haarlocken um den Zeigefinger ihrer rechten Hand. "Das ist eine der Möglichkeiten", meinte sie, im Geist alles durchgehend, was sie jemals über Flaschengeister, Dschinn oder auch Jungteufel gelesen hatte. "Vielleicht hätte er Dir auch drei Wünsche erfüllt, um wieder frei zu sein. Er hätte die Wünsche natürlich zu seinem Vorteil ausgelegt und so verdreht erfüllt, dass sie Dir am Ende geschadet hätten. Vielleicht hätte er Dich aber auch gezwungen, seinen Platz in der Flasche einzunehmen. Dann würdest Du noch heute als rauchiger Geist in einem Gefängnis aus Glas und Kupfer durch die sieben Weltmeere dümpeln. Vielleicht hätte er Dich aber auch wie die Languste in einem kleinen Wasserbecken neben seinem Schreibtisch in der Kap-Hölle gehalten, Dich ab und zu mit Fischstückchen gefüttert und hin und wieder Meister genannt."

Sie hatte ihm aufmunternd den Ellenbogen in die Seite gerammt und war vom Sessel aufgesprungen. "Komm' schon, Won-Won, Du Geisterseher!" grinste sie ihm von der Tür des Wohnzimmers aus zu. "Lass' uns Abendessen machen!"

Er sah sie an und die düsteren Wolken verschwanden aus seinen Gedanken. Ron grinste nun auch und streckte sich in seinem Sessel. Abendessen klang wirklich mehr als gut. Ein warmes und behagliches Gefühl breitete sich in seinem Inneren aus. Was brauchte er Reichtümer oder einen Jungteufel, der ihm all seine Wünsche erfüllte? Er hatte hier alles, was er sich jemals gewünscht hatte. Und alles war gut.

*** ENDE ***

[first published July, 24th 2011]

Mittwoch, 8. August 2012

Urlaub auf dem Bauernhof

Schandtat Numero 31

Zum zehnten Mal schon an diesem Tag verfluchte Harry sich und die ganze Situation, in der er sich dank Ginny und Hermine befand. Zugegeben das Prospekt klang toll:

"Der etwas andere Urlaubsort! Leben auf dem Bauernhof, wie vor hundert Jahren! Eine einmalige Gelegenheit, ein anderes Zeitalter kennenzulernen!"

"Garunz!" grunzte das Schwein und sprang erst mal aus dem Gatter mitten zwischen die frisch gewaschene Wäsche, die zum Trocknen in der Sonne hing. Wer, zum Voldemort, hatte nun schon wieder dieses blöde Tor offen gelassen?! Hier wollte ihn doch jemand ärgern! Und das sollte Urlaub sein?! Erst hatte er noch vor Sonnenaufgang die Kühe gemolken, dann hatte er ausgemistet... alles noch vor dem Frühstück. Eigentlich sollte er jetzt das Gras mähen und die dummen Rindviecher füttern. Sollte er das Schwein vielleicht einfach ignorieren?

Und schon wieder kam dieser komische alte Kauz in seinen langen, roten Unterhosen auf die Veranda vor seinem hölzernen Farmhaus. "Yiehaa!" schnaufte er und spuckte schwarzen Kautabak in den Sand vor seinem Haus. "Wer hat hier behauptet, dass das hier Urlaub ist? Ich bin Old MacDonald. Und wenn ihr nicht sofort meine alte Sau, Hildegard, wieder einfangt, dann knallt's!" Er hob eine zweiläufige Finte in die Luft und gab einen ohrenbetäubenden Schuss ab.

Harry nahm die Beine in die Hand und setzte der flink galoppierenden Sau nach. Er hatte Mühe mitzuhalten. Diesem alten Hinterwäldler Old MacDonald hätte er gerne einen saftigen Ganz-Körper-Klammerfluch aufgehalst, aber Ginny hatte vorsorglich alle Zauberstäbe eingesammelt und versteckt. Die wilde Hilde rannte über die angrenzende Wiese, schlug Haken, täuschte rechts und links an und steuerte geradewegs auf eine riesige Schlammsuhle zu.

Ron und Hermine waren derweil damit beschäftigt, Heu in der nahen Scheune zu wenden. Während Hermine sich einige Halme aus den Haaren zupfte, wollte Ron auf die Heugabel gestützt eine kleine Pause im Stehen machen, aber da hatte er seine Rechnung ohne Martha MacDonald, die Mutter vom alten MacDonald gemacht.

"Keine Müdigkeit, mein Sohn! Die Pferde wollen gefüttert werden. Sonst können sie nachher nicht den Pflug ziehen. Danach gibt es dann Frühstück."

Ron blickte hoffnungsvoll auf. "Oh, ja! Frühstück! Ich hab einen Bärenhunger." Er warf Hermine einen giftigen Blick zu. "Warum nur, müssen wir hier Urlaub machen? Aufstehen, wenn der Hahn kräht, schuften bis zum Sonnenuntergang. Was daran ist das einmalige Erlebnis?"

"Es erweitert den Horizont, liebster Göttergatte!" zischte Hermine angesäuert. Sie hatte Rons Genörgel soooo satt! Gut... zugegeben... sie hatte es sich auch ein klein wenig anders vorgestellt. Warum hatten sie und Ginny auch nicht das Kleingedruckte gelesen? Dass man sich nicht aussuchen kann, wo die Reise hingeht. Sie hatten von saftigen grünen Wiesen in gemäßigtem Klima geträumt. Irgendwo in Europa, wo man sie verstand und sie die anderen verstehen konnten. Aber wo waren sie gelandet? In Kansas! Diese Hitze... diese Sprache... Aber sie würde sich NICHT beklagen! Nicht vor Ron zumindest.

Ginny war derweil den Tränen nahe. Dieses dumme, dumme Schwein! Die schönen weißen Bettlaken waren jetzt voller Schlammspritzer. Jetzt musste sie noch mal mit dem Waschbrett und der ekligen Kernseife an den Fluss und schrubben, schrubben, schrubben.

Doch kaum hatte sie das Ufer erreicht, kam auch schon die Sau Hildegard gefolgt von Harry angewetzt. Mit lautem Geschrei und Gequieke stolperten sie über den Wäschekorb und im nächsten Augenblick lagen Ginny, Harry, das Schwein und die Bettlaken im Fluss.

"Na wenigstens bin ich jetzt wieder halbwegs sauber, nachdem ich diese Sau durch die Schlammsuhle gejagt habe." Seufzend reckte Harry seine Arme. "Und erfrischend ist es auch noch. Komm rein, Ginny, wir schwimmen eine Runde vor dem Frühstück."

Doch bevor Ginny dieser Aufforderung nachkommen konnte, stand der in rote Long-Johns gekleidete MacDonald mit geladener Flinte hinter ihnen. "Nicht bewegen!"

Sofort sprang Harry - ganz der Held, den wir alle kennen und lieben - vor seine Angetraute, um sie mit seinem Körper vor allem Übel zu schützen, während Ginny die Arme in die Luft reckte.

"Wir machen es auch nie wieder! Was auch immer wir falsch gemacht haben! Wir haben jedenfalls nicht gefaulenzt! Bitte nicht... wie auch immer dieses Muggelzeugs heißt", flehte sie doch etwas ängstlich.

"Unsinn! Da hinter Euch! Nicht umdrehen! Nicht bewegen, verdammt!"

Harry erstarrte und klammerte sich ganz unheldenhaft an Ginny.

"Was?" stotterte er mit einem unsicheren Zittern in der Stimme. "Was ist das da hinter uns?"

Ginny hielt die Luft an und warf einen schnellen Blick über die Schulter zurück.

"Nein!" stammelte sie. "Das glaube ich jetzt nicht!"

Ein markerschütterndes Knurren erfüllte die Luft, und es war so laut, dass nun auch Ron, Hermine und Großmutter MacDonald den Hügel herab zum Fluss gerannt kamen.

Am Flussufer wuchs ein kleiner Berg wie von selbst, und ein schwarzes, pelziges Wesen blinzelte und schnüffelte, dabei seltsames Geknurre von sich gebend, aus dem Erdreich. MacDonald legte die Flinte an und drückte ab.

"KAWUMM!"

"WAS TUN SIE DA, SIE UNTERBELICHTETER, HINTERWÄLDLERISCHER VOLLIDIOT!" schrie in dem Moment Charlie Weasley, der seinen ersten 'Urlaub' seit unzähligen Jahren ausgerechnet hier, ausgerechnet mit seinen Geschwistern und Schwägern verbrachte. Aber jetzt schien es doch interessant zu werden. Zum Glück war der Kerl nicht gerade treffsicher.

"Das ist ein seltener, mittelamerikanischer Wasserdrache! Die stehen nach dem internationalen Zauberabkommen über bedrohte Magische Tiere unter Artenschutz!"

"Ohje, ohje!" Martha MacDonald raufte sich die wirren, grauen Haare. "Malcolm!" fauchte sie ihren Sohn an und riss ihm die Flinte aus der Hand. "Jetzt ist aber Schluss mit Schuss! Und zieh' Dir endlich Hosen und Hemd an! Und ihr anderen..." Sie winkte Harry, Ron, Hermine, Ginny und Charlie zu sich heran. "Ihr bekommt jetzt erst mal die hier zurück!"

Sie kramte in einer großen, bunten Handtasche mit einem Schnappverschluss und holte die Zauberstäbe der fünf heraus. "Im Prospekt steht ja nun mal was von Urlaub. Und mit Magie geht die Farmarbeit bestimmt schneller und leichter von der Hand! Und heute Mittag gibt es erst mal ein ordentliches Barbecue! Und jetzt kommt auf die Veranda zum Frühstücken!"

Alle sahen sich verwundert an. Was hatte denn dieser Stimmungswechsel schon wieder zu bedeuten?

"Und was wird aus dem Wasserdrachen?" fragte Charlie und sah sich nach dem Erdhügel um, aus dem das Tier gekrochen war. Allen blieb die Luft weg, als sie beobachten mussten, wie der Drache versuchte, Hildegard, das Schwein anzuknabbern.

"Ey, Du Drachentier!" Charlie trat beherzt auf das 'Ungeheuer' zu. "Dir bekommt wohl der Aufenthalt in der neuen Welt nicht. Kaum raus aus Schottland und schon vergisst Du, dass eigentlich nur Fisch auf Deiner Speisekarte steht!"

"Du, großer Bruder!" Rons Grinsen war breiter denn je. "Ich glaube, dieser Drache will die Hildegard nicht fressen. Schau!"

Charlie rieb sich die Augen, als das Seeungeheuer, der Sau einen dicken Schmatz auf die dicken Schweinebacken gab und dabei verliebt schnurrte. Charlie blinzelte verdutzt. "Hmm, ein sehr ungewöhnliches Verhalten für einen Wasserdrachen. Das werde ich genauer beobachten müssen. Geht ihr schon einmal vor. Ich komme dann nach."


Das ließ sich Ron nicht zweimal sagen und trabte erschreckend schnell hoch zur Veranda, immer den köstlichen Gerüchen folgend. "Oh, Kaffee, ich komme!"

Mhm, Knutschen, dachte Harry. Dazu waren wir die letzten Tage viel zu erledigt. Ob...? Die anderen waren alle mit Drachen oder dem Frühstück beschäftigt... und wenn es hier jetzt lockerer zuging... "Hey, Ginny! Hast Du Dir schon mal den Heuboden angesehen?"

Ginny verzog das Gesicht. "Ja, gestern! Als ich die Pferde füttern durfte. Und dieses dicke, braune Pferd mir fast die Finger abgebissen hätte. Freiwillig gehe ich da nicht nochmal rein. Los komm', ich hab auch Hunger."

Martha MacDonald hatte sich an diesem Morgen selbst übertroffen. Da leuchteten goldgelbe Rühreier neben kross gebratenem Speck, dicken, saftigen Pfannkuchen mit Ahornsirup, Toast mit Butter und süßer Marmelade.

"Wer viel arbeitet muss kräftig essen", dröhnte Grandma MacDonald und goss für alle Kaffee ein.

"Aber ich habe noch eine andere Idee!" meinte sie plötzlich.

Sie verschwand wieselflink im Inneren des Bauernhauses und kam nach kurzer Zeit mit einigen Decken wieder heraus. "Wir machen ein Picknick in der Heuscheune! Ein Picknick auf dem Heuboden! Los jetzt, nehmt alles mit in die Scheune!" Sie drückte Hermine und Ron die Decken in die Hände und verteilte das Frühstück auf ihren Sohn, Harry und Ginny. "Nun macht schon! Nichts ist belebender als ein Frühstück im Heu!"

Ginny warf Harry einen mehr als genervten Blick zu. Also so hatte Harry sich das nicht gedacht! Erst eine Ginny die nichts peilt und dann das. Aber vielleicht konnte er Ginny ja noch vor dem Heuboden retten. Flink rannte er hinter Misses MacDonald her und rief: "Wie wäre es denn mit einem Picknick im Obstgarten? Unter den Obstbäumen ist es schön schattig!"

Er musste es ja wissen, denn er hatte sich mit dem Wässern dort immer extra viel Zeit gelassen. Dank Magie war es dort wie in einer Oase in der Wüste. Sogar das Gras war dort saftig und grün. Und Martha MacDonald ließ sich nur zu gern überreden.

"Draußen schmeckt es doch auch noch mal so gut!" tönte sie, und so saßen sie schon bald unter den Bäumen und ließen es sich ordentlich schmecken. Auch Charlie Weasley war nun wieder mit dabei, nachdem sich der Wasserdrache - schon wieder vollkommen untypisch für seine Art - tief ins Erdreich eingebuddelt hatte.

Kaum war das vorzügliche Frühstück verspeist, sprang Martha auf und tippe das schmutzige Geschirr und die wenigen Essensreste mit ihrem Zauberstab an. Alles erhob sich in die Luft, und sie ließ es vor sich her in Richtung Farmhaus schweben. Ginny und Hermine rief sie zu: "Kommt, Mädels! Ich zeige euch meine nigel-nagel-neue, magische Geschirrspülmaschine!"

Doch die beiden lehnten dankend ab, wobei Ginny Hermine einen eindeutig genervten und verneinenden Blick zuwarf. Martha zuckte die Schultern und war schon bald im Haus verschwunden.

Old MacDonald nahm seine Gäste zur Seite, kaum dass seine Mutter außer Sicht- und Hörweite war. Er hatte sich inzwischen eine hellblaue Latzhose angezogen und einen breiten Strohhut aufgesetzt. Die Finger hatte er in die Hosenträger gehakt, als er vor allem Charlie verschwörerisch zuraunte: "Nichts für ungut, Leute. Ich hoffe, ihr nehmt uns die ganze Schufterei nicht übel, Folks! Wir wollten nur mal testen, was ihr Jungspunde aus dem alten Europa so drauf habt! Aber jetzt mal genug von diesem Muggelviehzeug!" Er gab der Sau Hildegard einen leichten Tritt, als sie versuchte, sich an sein rechtes Bein zu schmiegen. "Pferde, Kühe, Schafe, die alle haben wir nur zur Tarnung. Kommt mit, wenn ihr unsere eigentlichen Attraktionen sehen wollt!"

Charlie grinste über beide Backen und stieß Ginny seinen Ellenbogen in die Seite. "Old MacDonald had a farm. Ee i ee i o!" sang er ihr leise ins Ohr. Und Ginny hätte es vielleicht noch lustiger gefunden, wenn er dieses Lied in den vergangenen Tagen nicht schon so oft angestimmt hätte.

Die Feriengäste folgten dem alten Malcolm MacDonald durch ein vertrocknetes Stück Wald am Fluss in ein schmales Tal zwischen den nahen Hügeln. Vor ihnen lag eine mit Maschendraht eingezäunte Weide.

"Aber", murmelte Malcolm vor sich hin, "vielleicht könnt ihr sie gar nicht sehen?"

Doch sie konnten sie alle sehen. Spätestens seit der letzten Schlacht gegen Lord Voldemort konnten sie sie sehen. Auf der Weide graste etwa ein Dutzend dürrer Tiere, die ein wenig wie halb verhungerte, schwarze Pferde mit großen, lederartigen Flügeln aussahen. Gerade kam noch eins mit einem Schafskadaver den Hügel herunter geflogen, auf den sich die anderen stürzten, sobald es gelandet war.

"Och, das sind Thestrale", verkündete Ron unbeeindruckt. "Die kennen wir. Unser Freund Hagrid hält welche auf dem Schlossgelände von Hogwarts, unserer alten Schule. Sie ziehen die Kutschen, mit denen die Schüler vom Bahnhof zum Schloss fahren."

Malcolm grummelte fast schon beleidigt vor sich hin. Etwas mehr Begeisterung hatte er schon erwartet. "Thestrale kennt ihr also schon. Na gut, Folks, dann wollen wir doch mal sehen, was ihr zu meinen anderen Lieblingen sagt."

Sprach 's, und war schon ein gutes Stück weiter am Zaun entlanggegangen.

Und dieses Mal waren sie alle gebührend beeindruckt. "Aetons", erklärte Malcolm MacDonald nur.

"Aetons sind eine Rasse geflügelter Pferde. Newt Scamander beschreibt sie als prächtige Rotfüchse, die bei den britischen Pferdeliebhabern der Magischen Welt sehr beliebt sind. Es sind sehr feurige Reit- und Zugpferde. Sehr temperamentvoll", gab Hermine ihr gesammeltes Wissen zum Besten.

Charlie und Ron rollten daraufhin mit den Augen und bewunderten die Pferde. Eine recht große Herde von ihnen graste auf der eingezäunten Weide. In der Ferne konnten sie Stallungen entdecken. Und ein Gelände, das wohl dem Training diente.

"Außerdem sind sie schwer auszubilden und, was kaum einer weiß, sie sind vollkommen unempfindlich gegenüber Feuer", ergänzte MacDonald.

"Ist das da etwa ein Porlock?" wollte in dem Moment Ginny wissen und zeigte auf ein kleines Wesen, das zwischen einer Stute und ihrem Fohlen kaum sichtbar war. "Ich dachte, die sind nur in England heimisch."

Bevor MacDonald ihr antworten konnte, schaltete sich Hermine erneut ein, um in Lexikon-Manier zu referieren: "Der Porlock ist ein Tierwesen. Das auf zwei Beinen gehende, paarhufige Wesen kommt in der südwestenglischen Grafschaft Dorset und in Südirland vor. Es hat ein dichtes, zotteliges Fell, und sein Kopf verschwindet fast unter seiner üppigen, struppigen Haarmähne. Seine Arme wirken schmächtig und enden in vier stummeligen Fingern. Das einzige, wofür ein Porlock lebt und sich einsetzt ist es, Pferde zu hüten. Wie seine Schützlinge ernährt er sich hauptsächlich von Gras. Da der höchstens 60 cm lange Porlock sehr scheu ist, versteckt er sich meistens vor menschlichen Blicken inmitten 'seiner' Pferde. Porlocks gehörten als Zweibeiner ursprünglich zu den magischen Wesen, mit denen der Magische Rat unter dem Vorsitz von Burdock Muldoon im Mittelalter eine politische Zusammenarbeit aufbauen wollte. Da Porlocks aber nicht sprechen können, wurden sie später als Tierwesen eingestuft und haben auch heute noch diesen Status, gegen den sie nie aufbegehrt haben."

MacDonald sah sie leicht verstimmt an. "Mag sein, wie es will! Ich habe mir zwei aus England kommen lassen, um die Pferde zu hüten. Die Porlocks machen sie ruhiger."

"Bilden Sie sie selbst aus?" wollte Harry wissen, der mit einem Funkeln in den Augen auf die Pferde starrte. Geflügelte Pferde fehlten noch in seiner Sammlung von 'Reittieren' - Drachen, Hippogreife und Thestrale. Er wollte unbedingt eines reiten! In dem Moment kam eines der geflügelten Pferde ganz nah an den Zaun heran und reckte seinen Kopf Harry entgegen Der nutze die Gelegenheit sofort, um es zwischen den Ohren zu kraulen.

Malcolm MacDonald warf ihm einen verwunderten Blick zu. So zutraulich waren sie Fremden gegenüber sonst nicht. "Nein, das macht mein Neffe. Er wohnt in der Nähe und kommt jeden Tag her." Nach einem Blick auf die Uhr fügte MacDonald hinzu: "Er müsste jeden Moment hier sein."

Und tatsächlich hörten sie das charakteristische Plopp einer Apparation, und schon stand einige Meter von ihnen entfernt ein großer, schlanker, junger Mann, der sie fröhlich angrinste. "Howdie, alle miteinander. Ich bin Bobert Bedford. Wie ich sehe, bewundert ihr unsere Schönheiten."

Er trat näher an das Gatter heran und pfiff kleine, melodische Töne. Die Aetons richteten ihre Ohren auf und setzten sich dann in Bewegung. Vor und zurück, seitwärts, im Kreis.

"Wow!" Ron war sichtlich beeindruckt. "Tanzende Pferde, äh Aetons."

Auch der Rest der Truppe betrachtete fasziniert dieses Schauspiel. Bob Bedford lächelte und klatschte einmal laut in die Hände, und die Herde stob davon.

"Wie machen Sie das?" Harry hatte seine Sprache wiedergefunden, und der Wunsch nach einem Ritt auf diesen grazilen Wesen war stärker denn je.

MacDonald grinste und knuffte seinem Neffen in die Rippen. "It's magic! Er ist ein echter Pferdeflüsterer."

"Aber ich bin nicht nur ein Pferdeflüsterer", hauchte Bob Bedford in Richtung Ginny und Hermine und warf ihnen einen verführerischen Schlafzimmerblick zu. "Ich weiß auch jenseits von Afrika, was Frauen wollen, und das nicht nur beim Fliegenfischen unten am Fluss, der aus der Mitte entspringt."

"Für wen hält der sich?" flüsterte Ginny Hermine zu, "Bel Bibson?"

Unmerklich hatten sie sich von der Koppel der Aetons entfernt, wobei Harry immer wieder sehnsüchtige Blicke über die Schultern zurück warf. Bei nächster Gelegenheit würde er hierher zurückkommen, nahm er sich fest vor. Und dann: "Up, up and away!"

Und während er sich noch fragte, warum die MacDonalds eigentlich fliegende Tiere auf eingezäunten Weiden hielten, hatte Ron bereits die Bewohner der nächsten Koppel entdeckt.

Ein erstauntes "Uff!" ließ Harry herumwirbeln. Er musste mehrfach blinzeln, um glauben zu können, was er da sah. Diese Wesen – es waren etwa zwanzig an der Zahl, schätzte er – wirkten, als hätte sie jemand aus verschiedenen Tieren zusammengesetzt. Sie waren groß und massig wie Mastschweine. Auch der Kopf mit der Rüsselnase, den eckigen Ohren und den kleinen Knopfaugen war schweineähnlich. Jedoch war der ganze, gewaltige Körper mit dichter, weißer Wolle bedeckt. Und die Tiere standen auf vier krummen Kuhbeinen mit großen Paarhufen. Dazu passte auch das pralle, rosa Euter mit den vier Zitzen, das jedem unter dem Bauch baumelte. Nur das Hinterteil war mit weichen, weißen Daunenfedern bedeckt und endete in einem Büschel langer, weißer Schwanzfedern.

"Sind sie nicht herzallerliebst?" quiekte Malcolm MacDonald und presste sich beide Hände ans Herz.

"Ja,… schon…", sagte Harry vorsichtig, "aber was sind sie?"

"Sie sind meine neuste Züchtung", der Stolz ließ Old MacDonald mindestens einen halben Meter wachsen. "Sie gehören zur Familie der Wolper Tingerus. Ich nenne sie liebevoll meine Ei-Le-Wos!"

"Ei-Le-Was?" stöhnte Ron.

"Na, eierlegende Wollmilchsäue", verkündete Bobert Bedford und drängte sich unangenehm nah an Hermines Seite. "Und sie halten genau, was der Name verspricht!" hauchte er in ihre Richtung und beugte den Kopf zu ihr herab. "Onkelchen hat recht: Die Muggelviecher können bald einpacken."

Als hätte er ein Stichwort gegeben, trabte plötzlich eine Dreiergruppe Kühe auf die Hexen und Zauberer zu. Sie warfen die Beine im Takt einer Musik, die nur sie hören konnten, in die Luft, und sangen dazu ein Lied, das allen irgendwie bekannt vorkam:


"Old MacDonald had a farm

Ee i ee i o

And on his farm he had some cow

Ee i ee i oh

With a moo-moo here

And a moo-moo there

Here a moo, there a moo

Everywhere a moo-moo

Old MacDonald had a farm

Ee i ee i o."


"Siehste!" grinste Charlie und knuffte Ginny erneut in die Seite. "Das Lied ist echt der Knaller!"

Und niemand wunderte sich, dass nach kurzer Zeit auch noch die Sau Hildegard in den Chor der Kühe einstimmte, sich in die Ballettreihe der Muggelviecher einreihte und ebenfalls die vier Tanzbeine schwang.

"With an oink-oink here

And an oink-oink there

Here an oink, there an oink

Everywhere an oink-oink!"

"Hrmpf", schnaubte Hermine durch zusammen gepresste Lippen und versuchte etwas Abstand zwischen sich und Bobert Bedford zu bringen. "Ich wollte einen Urlaub auf einem Bauernhof! Keine irre Freak-Show mit mutierten Dingens... Was ist das hier eigentlich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Züchtungen, Dressuren und Experimente legal sind!"

"Aber, über die schwere Arbeit in den ersten Tagen hast Du Dich auch beklagt", versuchte Ron sie zu beschwichtigen.

"Habe ich gaaaaar nicht!!!"

"Hast Du doch!!!"

"Nicht!"

"Doch!"

Nicht schon wieder, dachte Harry bei sich. Die beiden brauchten ihre täglichen Streitereien wie die Luft zum Atmen. Und wieder warf Harry einen sehnsüchtigen Blick zurück Richtung Aetonweide. Und da reifte eine Idee in seinem Kopf. Da gab es doch dieses riesige Grundstück in Godrics Hollow, am Ortsrand, hinter einem kleinen Wäldchen. Er hatte schon länger ein Auge darauf geworfen, da es einfach schön gelegen war, um dort ein wenig Quidditch zu spielen. Natürlich mit den nötigen Anti-Muggel-Zaubern. Genauso gut könnte er daraus auch etwas anderes machen. Harry grinste von einem Ohr zum anderen. GENAU!!!!

"Mister MacDonald...?"

"Malcolm, mein Junge."

"Also, Malcolm, wie viel kostet eigentlich so ein Aeton?"

"Ah, Feuer gefangen?!"

"Vielleicht."

"So etwa 160.000 britische Galleonen", flüsterte MacDonald ihm den entsprechenden Betrag ins Ohr.

Harry musste erst mal schlucken. Doch so viel?! Schnell überschlug er, wie viele geflügelte Pferde er sich für den Anfang würde leisten können.

"Kosten weniger als ein Abraxaner. Sind vor allem günstiger im Unterhalt. Wollte eigentlich Abraxaner züchten. Das habe ich aber aufgegeben. Sie mögen einfach keinen amerikanischen Whisky. Musste Single Malt aus Schottland und Irland besorgen. Und der verträgt das magische Reisen nicht, verdirbt den Geschmack. Und was für Mengen die geschluckt haben! Das wurde mir zu teuer. Da habe ich auf Aetons umgestellt."

Also erst mal das Grundstück, ein Stall, Zaun, dann die Pferde... Was noch? Fliegende Pferde über Godrics Hollow. Da fiel ihm noch etwas ein: "Wieso fliegen die eigentlich nicht?"

"Och, die fliegen schon. Schau hin!"

Und tatsächlich. Ein Blick zurück zeigte Harry ein in der Luft kreisendes Aeton. "Aber sie fliegen nicht weg?" fragte er neugierig nach.

"Zauber. Die Luft ist sozusagen 'eingezäunt'", erklärte Malcolm MacDonald ihm.

Den Zauber musste er dann auch lernen. Vielleicht doch erst mal einige Bücher über die Zucht magischer Pferde? Konnte ja nicht schaden. Was die anderen wohl sagen würden? Abbringen lassen würde er sich von dieser Idee jedenfalls nicht!!!!!

"Harry!" Ginnys Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schien ihm mit ihren braunen Augen direkt in den Kopf zu schauen. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er gewettet, sie beherrsche Legilimentik, die hohe Kunst, Gefühle und Erinnerungen aus den Gedanken eines anderen herauszuziehen. Und während er sich noch irritiert wünschte, damals in den Okklumentik-Stunden mit Professor Severus Snape besser aufgepasst zu haben, hörte er sie in einem leicht tadelnden, aber auch belustigten Tonfall sagen:

"Harry, ich sehe es Dir praktisch an der Nasenspitze an. Du bist ganz versessen darauf, auf den Rücken von einem von diesen Aetons zu steigen und ein paar Runden durch die Luft zu drehen. Und wenn es das nicht ist, was Dich beschäftigt, dann heckst Du irgendeinen Plan aus, wie Du selber diese Tiere züchten kannst."

Harry sagte nichts und versuchte sich auch nichts anmerken zu lassen. Ginny legte ihm zärtlich einen Arm um die Schulter und flüsterte ihm leise ins Ohr: "Mal ehrlich, was willst Du denn mit einer Herde fliegender Pferde? Warum arbeiten wir nicht lieber an einer Herde kleiner Harrys und Ginnys?"

Harry schluckte. Nichts würde ihn jemals von der Idee der Zucht magischer Pferde abbringen, nichts außer seiner heiß geliebten Ginny.

"Und was bitte bedeutet für Dich Urlaub auf dem Bauernhof?" wollte Ron gerade lautstark von Hermine wissen. "Harte Arbeit rund um die Uhr? Ställe ausmisten und Felder pflügen? Ist es das, was Du unter Urlaub verstehst? Warum erklärst Du uns nicht endlich, was Du von diesem Urlaub erwartet hast?"

"Jedenfalls keine Tiershow wie in den Büchern von Newt Scamander!" blaffte Hermine zurück. "So was würde vielleicht Luna Lovegood gefallen, aber ich brauche das nicht!"

"Na, dann ist es ja gut!" brüllte Ron.

"Sage ich irgendwas anderes?" entgegnete Hermine in der gleichen Lautstärke.

Charlie Weasley beachtete die eigenartigen Spannungen zwischen seinen Geschwistern und ihren Liebsten nicht weiter sondern näherte sich der Weide mit den Aetons. Einer der prächtigen Rotfüchse legte kurz die Ohren an, dann trat er federnd an den Zaun und stupste ihn mit den weichen Nüstern an. Charlie legte eine flache Hand an seinen Hals, woraufhin das Tier seine mächtigen Flügel weit spreizte.

"Also, gegen einen kleinen Rundflug mit einer von diesen Schönheiten hätte ich auch nichts einzuwenden!" murmelte Charlie in Richtung Old MacDonald und Bobert Bedford.

"Aber ich!" warf Bedford, der selbsternannte Pferdeflüsterer ein. "Ich habe etwas einzuwenden. Die Aetons sind in der Mauser! Sie können zwar selber fliegen, aber es ist ihnen in diesem Zustand unmöglich auch noch die Last eines Reiters zu tragen!"

Malcolm MacDonald strahlte seinen Neffen an. "Er ist so ein kluger Junge, Folks!" erklärte er stolz. "Er ist wirklich magic!"

In diesem Moment gellte ein schriller Schrei vom Farmhaus zu ihnen herüber. In aller Eile hasteten sie zurück zu Martha MacDonald.

"Hilfe! Hilfe! Hilfe!" kreischte die alte Dame immer wieder, während sie hustend und schnaubend auf der Veranda im Kreis herumlief. Aus dem Inneren des alten Holzhauses drangen dichte, schwarze Rauchschwaden nach draußen. Von drinnen war ein eigentümliches Rumpeln und Rattern und Quietschen und Schleifen zu hören.

"Ma, was ist denn passiert?" wollte Malcolm wissen und war augenblicklich noch aufgeregter als seine alte Frau Mutter.

"Die magische Geschirrspülmaschine!" heulte sie immer wieder. "Meine nigel-nagel-neue, magische Geschirrspülmaschine!"

"Keine Angst, meine Damen", hauchte Bobert Bedford und schaffte es in einer Bewegung sowohl Ginny als Hermine zu berühren und ihnen unangenehm feucht und warm an die Ohren zu pusten. "Ich werde nicht zulassen, dass solchen Schönheiten wie euch etwas passiert!"

"Was ist denn mit dieser Maschine?" wollte Malcolm weiter von seiner Mutter wissen.

"Erst hat sie sich über die Wäschetrommel hergemacht und Deine roten Unterhosen verschluckt!" krähte Martha. "Dann hat sie angefangen durch die Küche und schließlich durch die ganze Hütte zu rumpeln. Jetzt sprüht sie Funken und setzt alles in Brand! Jetzt tu doch mal endlich jemand irgendwas!"

Alle schauten sich starr vor Schreck an. Im Inneren des Holzhauses klirrte Glas, gefolgt von einem lauten Poltern und Krachen. Waren da am Ende des Ganges, den sie durch die offene Tür einsehen konnten, Flammen zu sehen?

"Meine Bücher!" kreischte Hermine.

"Unser ganzes Gepäck!" wimmerte Ron im gleichen Tonfall.

"Und was ist mit meiner Hütte? Meinem Zuhause?" polterte Old MacDonald, schob sie alle beiseite und hastete schon im nächsten Augenblick mit einem großen Blecheimer auf den nahen Brunnen zu.

Doch noch bevor er eine Eimerkette bilden konnte, hatte Hermine schon ihren Zauberstab gezückt. "Aquamente!" brüllte sie aus Leibeskräften, und ein gewaltiger Wasserstrahl ergoss sich über die Hütte. Es dampfte und zischte, doch das Feuer schien erloschen.

"Ach, Ma", jammerte MacDonald. "Wie oft hab' ich es Dir schon gesagt, die Maschine ist für das Geschirr und nicht für die Wäsche!"

"Wenn Geschirr sauber wird, warum dann nicht auch Wäsche?" konterte die resolute Dame.

Ron, Harry, Hermine und Ginny betraten vorsichtig die Hütte.

"Hm, sieht unbewohnbar aus. Alles angekokelt und durchweicht. Mal schauen, was wir noch so von unseren Sachen retten können. Vielleicht ist es Zeit für uns nach London zurückzukehren", meinte Harry.

Hermine ließ sich erschöpft auf die Stufen der Treppe ins obere Stockwerk sinken und begann zu schluchzen. Eine dicke Träne tropfte ihr von der Nasenspitze, als sie leise zu stammeln begann: "Das habe ich alles nicht gewollt! So habe ich mir das alles nicht vorgestellt! Ich wollte doch nur einen erholsamen Urlaub auf dem Bauernhof! Ganz ohne den Stress im Ministerium! Ganz ohne Zauberei! Etwas körperliche Arbeit an frischer Luft, eben Leben auf dem Bauernhof wie vor hundert Jahren!"

Sie hatte das zusammengefaltete Prospekt aus ihrer Hosentasche gezogen und zeigte matt auf den knallbunten Aufdruck auf der ersten Seite: "Eine einmalige Gelegenheit, ein anderes Zeitalter kennen zu lernen!"


"Also mir gefällt es, trotz Feuer und Wasserschaden!" verkündete Charlie Weasley kauend. Im nächsten Augenblick verzog er angewidert das Gesicht und spuckte einen Bissen der gelblichen Frucht, die er neben dem Schweinegatter von einem Baum gepflückt hatte, im hohen Bogen zur Haustür hinaus.

"Mach' Dir keine Vorwürfe, Hermine", meinte Ginny, setzte sich neben sie und legte der Freundin tröstend die Hand auf die Schulter. "Es war ja zum Teil auch meine Idee."

"Genau!" mischte sich nun auch Ron polternd ein. Er schupste seine Schwester unsanft zur Seite und patschte seiner Frau ungeschickt auf den Rücken. "Mach' Dir keine Vorwürfe, Hermie! Jeder macht mal Fehler! Außerdem ist unser Urlaub doch sowieso so gut wie zu ende."

Ginnys tadelnden Blick anlässlich seiner unsensiblen Art beantwortete er mit einer kopfschüttelnden Grimasse.

Da stand plötzlich Martha MacDonald mit der Flinte im Anschlag vor ihnen und zielte auf ihren Sohn, der neben Harry stand. Die fünf britischen Zauberer rissen entsetzt die Münder auf.

"Du kleiner Tunichtgut! Du Lügner und Betrüger!" zischte die alte Dame Malcolm an. "Du Erbschleicher!"

Sie riss die Flinte hoch und gab einen donnernden Schuss in die Luft ab. Teile der ohnehin schon ramponierten Decke rieselten auf sie herab.

"Ich habe nie versucht, Deine dreckigen, roten Unterhosen in meiner nigel-nagel-neuen, magischen Geschirrspülmaschine zu waschen! Du hast nur immer wieder versucht, mir das einzureden! Du versuchst, mich in den Wahnsinn zu treiben, weil Du die Farm und mein ganzes Vermögen für Dich allein haben willst! Aber damit ist nun Schluss! Ich habe Dich durchschaut, Du Schuft! Noch heute verlässt Du mein Land! Ich will Dich hier nicht mehr sehen! Außerdem ist schon längst Zeit für Dich, auf eigenen Beinen zu stehen! Schau' Dich an! 80 Jahre alt und hängst noch bei Deiner Ma an den Rockzipfeln, Du…, Du…, Du…"

Sie wurde immer und immer lauter und geriet immer mehr in Rage. Dazu wirbelte der Lauf ihrer Flinte bedrohlich durch die Luft. Harry sah schon den Schuss, der sich jeden Augenblick lösen und einen Unschuldigen treffen würde.


"Martha", sagte Malcolm MacDonald ganz ruhig. "Martha, es ist genug! Du kannst aufhören. Ich denke, wir haben hier mal wieder jemanden, der das Kleingedruckte nicht gelesen hat."

"Mennoh!" schmollte Martha und ließ die Flinte sinken. "Wo ich doch gerade so gut in Fahrt war."

"War das mein Stichwort?" rief Bobert Bedford von der Veranda her. "Habe ich meinen Einsatz verpasst?"

"Feierabend, Bob!" rief Malcolm ihm zu und verdrehte die Augen. "Ich denke, unseren Gästen gefällt das Spiel nicht! Kommt ihr mal eben mit uns nach draußen?" fragte er dann Harry, Ron, Hermine, Ginny und Charlie.

Völlig verdutzt und ahnungslos folgten ihm alle auf die Veranda vor das zerstörte Bauernhaus. Aber war es wirklich noch zerstört? Bei einem Blick über die Schulter hatte Harry den Eindruck, es würde sich vor seinen Augen selbst reparieren.

Über den staubigen Hof kamen die drei Kühe und die Sau Hildegard auf die versammelten Menschen zu. Doch es waren gar keine Kühe und kein Schwein, wie sie zu ihrer aller größten Überraschung feststellen mussten, als sie sich von einem Augenblick auf den anderen in drei junge Männer und eine junge Frau verwandelten.

"Was ist los?" rief einer von ihnen herüber. "Ist schon Mittagspause? Oder haben sie den Fall schon gelöst?"

"Ich glaube, wir sollten drüben in der alten Welt mal unsere Vermittler wechseln!" meinte Malcolm kopfschüttelnd. "Sieht aus, als hätte das Reisebüro diesen hier auch wieder das Zusatzprogramm verschwiegen."

"Du meinst, die hier haben auch wieder nicht bewußt das Zusatzprogramm gebucht?" fragte Martha zerknirscht.

"Sieht ganz so aus", meinte Malcolm. Er trat an Hermine heran und nahm ihr das Prospekt aus der Hand. Er blätterte auf die letzte Seite und deutete auf einen Textabschnitt ganz unten am Rand.

"Sie suchen das Abenteuer?" las Hermine stockend vor. "Sie wollen sich nach harter Arbeit mit monströsen Monstrositäten, Fabelwesen und einem kniffligen Kriminalfall zum Mitraten unterhalten? Dann sind Sie bei uns genau richtig!"

"Was soll das nun wieder bedeuten?" verlangte Harry zu wissen.

"Wir sind Schauspieler!" erklärte Malcolm MacDonald ungerührt und zückte seinen Zauberstab. Er murmelte eine Beschwörung und tippte sich an die Stirn. Die Gestalt des alten, kauzigen Farmers fiel von ihm ab und vor ihnen stand ein junger Mann etwa in ihrem Alter. "Wir werden dafür bezahlt, unseren Gästen eine Art Theaterstück vorzuspielen. Aber davon hattet ihr ja scheinbar keine Ahnung."

Martha stöhnte auf. Sie fummelte mit beiden Händen hinter ihrem Rücken herum und hatte schließlich ihr altertümliches Korsett in der Hand. "Ihr habt ja keine Ahnung, wie dieses Ding drückt!" Zeitgleich hatte auch sie sich in eine junge, hübsche Frau verwandelt. Die betagte, aber resolute Grandma MacDonald war verschwunden.

"Trotzdem schade!" fuhr sie fort. "Spätestens morgen Mittag hättet ihr meine Leiche irgendwo im Haus oder auf dem Hof gefunden und herausfinden müssen, wer mich ermordet hat!"

"Und diesmal wäre ich der Täter gewesen!" verkündete Bobert Bedford stolz. Er war als einziger noch der gleiche große, schlanke, junge Mann, den sie erst vor wenigen Stunden kennengelernt hatten. Auch sonst hatte er sich nicht verändert, denn er stand schon wieder unangenehm dicht an Ginny und Hermine.

"Soll das heißen, nichts von dem, was wir in den letzten Tagen hier erlebt haben, war real?" wollte Harry wissen.

"Nun", meinte Malcolm, "eure Arbeit war schon irgendwie real." Er trat an Marthas Seite und nahm sie in den Arm.

"Wir heißen auch Malcolm und Martha", meinte sie verschmitzt, "nur eben nicht MacDonald."

"Und Mutter und Sohn sind wir auch nicht!" ergänzte Malcolm.

"Dafür verheiratet!" Martha hielt vor allem Ginny und Hermine den Finger mit ihrem glitzernden Ehering hin. "Drei Jahre sind es im Oktober."

Die beiden Hexen konnten sich gerade noch zurückhalten, das Schmuckstück voller Begeisterung zu bewundern.

"Und es gibt Leute, die für so was bezahlen?" wollte Charlie wissen. Er spuckte erneut aus, weil er gedankenverloren noch einmal in die bittere Frucht gebissen hatte, die er noch immer in der Hand hielt. "Ich meine, ihr werdet dafür bezahlt, Gästen ein Theaterstück vorzuspielen?"

"Ja, genau", meinte einer der jungen Männern, der vor kurzem noch eine singende Kuh gewesen war, "nur wissen die Gäste für gewöhnlich, worauf sie sich einlassen. Und erwarten nicht nur einen erholsamen Urlaub auf dem Bauernhof."

"Das habe ich wirklich übersehen", stöhnte Hermine und sackte am Rand der Veranda in die Hocke.

"Ich auch", seufzte Ginny und hockte sich neben sie.

"Und?" wollte Malcolm wissen. "Sollen wir weiter machen mit unserem Spiel? Ich meine, dummerweise haben wir euch ja jetzt schon den Täter verraten."

"Nöh, nöh, ist schon gut!" winkte Ron ab. "Wir haben ja auch nur noch einen Tag Urlaub. Besorgt mal lieber etwas Ordentliches zu essen!"

Das ließen sich die Schauspieler nicht zweimal sagen. Eine knappe Stunde später saßen alle um einen riesigen Barbecue-Grill, auf dem sich ein großes Spanferkel drehte.

"Das ist jetzt aber keins von diesen Ei-Le-Wos, oder?" wollte Charlie wissen.

"Nein", lachte Malcolm und zeigte in die Richtung, in der die Weide mit diesen seltsamen Geschöpfen gewesen war. "Das waren ganz gewöhnliche Schweine, Schafe, Kühe und Hühner, die unser Requisiteur mit einem Illusionszauber belegt hat. Die Thestrale waren auch nur gewöhnliche Pferde. Nur die Aetons waren echt, auch wenn wir dafür gesorgt haben, dass die Herde größer aussah. Eigentlich waren es nur zwei, die auf ihrem Weg in den Osten hier eine Zwischenlandung eingelegt haben. Alles nur für den Erlebnisurlaub der besonderen Art."

"Und das nächste Mal könnt ihr ihn vielleicht auch genießen", meinte Martha. Und nur Harry hörte Rons gemurmelte Antwort: "Das nächste Mal? Wovon träumt die denn nachts? Einmal und nie wieder."

Doch dann gab es gebratenes Essen satt, und Bier floss in Strömen, und so konnten die fünf Freunde einen verpfuschten Urlaub wenigstens noch halbwegs versöhnlich ausklingen lassen, bevor es am nächsten Morgen zurück in die Heimat, ins alte Europa ging.

--- EnTe ---

[first published June, 14th – July, 1st 2011]


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