Schandtat Numero 23
Sie zog die nassen Handschuhe aus und rieb sich die klammen Finger. Warum musste eigentlich immer sie in aller Herrgottsfrühe raus und den Schnee vom Gehsteig schippen? Hier konnte sie den Zauberstab nicht benutzen, weil es etwas zu auffällig wäre, wenn plötzlich der ganze Schnee weg wäre. Warum mussten sie auch in eine Muggelgegend ziehen? Langsam kam sie sich schon vor wie eine von diesen englischen Hausfrauen. Fehlten nur noch eine Kittelschürze und eine Fensterbank, auf die sie sich mit den Oberarmen abstützen konnte, um durch das geöffnete Fenster die Menschen auf der Straße zu beobachten und zu beschimpfen, wenn sie es für nötig hielt, also eigentlich immer. Sie schüttelte amüsiert über diese Gedanken das wild gelockte Haar.
Aber Muggel hin, Muggel her. Einen kleinen wortlosen Zauber ohne Zauberstab konnte sie sich nicht verkneifen. Und so begannen sich ihre Nachbarn schon zu wundern, dass sie den Gehweg so leicht und so lange von Eis und Schnee freihalten konnte, während keine zwei Meter weiter vor dem Nachbarhaus sich die weiße Pracht schon wieder zentimeterhoch anhäufte.
So, jetzt noch einen kleinen Fön- und Aufwärmzauber im Wohnzimmer am Kamin, und die klammen Finger und die morgendliche Last des Schneeschippens wären vergessen.
Die Hintertür fiel scheppernd ins Schloss und auf dem Flur waren laute Schritte von schweren Winterstiefeln zu hören.
"Bin da! Wer noch?" klang Rons Organ an Hermines Ohren und dann zwei dumpfe Aufprälle, die ihr sagten, dass er mal wieder seine Fuß- und sonstige Bekleidung überall im Haus verteilte. Wieder schüttelte sie leicht den Kopf, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen.
"Hermine? Wo bist Du?"
In diesem Moment weckte etwas außerhalb des Wohnzimmerfensters Hermines Aufmerksamkeit. Dieser Teil des Hauses lag im Parterre und so konnte sie jetzt einen alten Mann mit einem langen, weißen Bart und etwas, das aussah wie ein Eisbärenfellmantel, auf dem Gehweg draußen vorbei gehen sehen. Als hätte dieser sonderbare Mann ihren Blick gespürt, blieb er stehen und wandte den Kopf in ihre Richtung. Er hatte eine sehr helle Hautfarbe und seine Augen schienen bis auf die Iris vollständig weiß zu sein. Konnte jemand, der so aussah, ein Muggel sein?
Doch Hermine blieb keine Zeit für weitere Gedanken, denn in diesem Augenblick überzog sich die Fensterscheibe in Sekundenschnelle mit wild verzweigten Eisblumen und Kristallen. Dann gab es ein ohrenbetäubendes Kreischen, und das Fensterglas schien ins Innere des Wohnzimmers zu implodieren. Dazu erfasste ein eisiger Wirbelsturm Gardinen und Möbel und überzog sie augenblicklich mit einem glitzernden Schneeüberzug. Das Kaminfeuer erlosch mit einem verzweifelten Zischen.
"Hermine?" Rons Ruf drückte eine gewisse Besorgnis aus. "Woher kommt denn dieser Luftzug?"
Der bärtige weiße Mann mit dem weißen Mantel und der Fellmütze auf dem Gehweg ruderte wild mit den Armen. "Nein! Nein, das tut mir leid! Das wollte ich nicht! Das ist nicht richtig!"
Doch mit jedem Wort und jeder Geste schien der Schneesturm im Wohnzimmer von Ron und Hermine stärker zu werden und größere Verwüstungen anzurichten.
"Reparo!" brüllte Hermine über das Heulen der Luftmassen und das Gebrabbel des alten Mannes hinweg, und für einen kurzen Moment sprangen die Glasscherben zurück in den Fensterrahmen, froren aber im Handumdrehen wieder zu, um dann wieder zu zerspringen.
"Was soll das? Wer sind Sie?" brüllte Hermine den alten Mann an. Er konnte nichts Anderes als ein Zauberer sein.
"Ich will das nicht! Es passiert einfach! Haben Sie einen Garten hinter dem Haus, junge Frau? Wenn ja, treffen wir uns besser da und in einigem Abstand zum Haus. Vielleicht richte ich auf freierem Feld nicht so viel Schaden an."
Seine Stimme klang wie das Rumpeln einer gewaltigen Lawine aus feuchten Schneemassen, die polternd und rauschend zu Tal stürzten. Noch bevor Hermine antworten konnte, war der fremde Mann auf den schmalen Durchgang, der zwischen ihrem und dem Nachbarhaus nach hinten in den kleinen Garten führte, zugestapft. Sich Handschuhe, Strickmütze und Wintermantel wieder überwerfend, hastete Hermine zur Hintertür, schnappte sich im Rauseilen den völlig überrumpelten Ron, der sich gerade noch notdürftig die Stiefel wieder überstreifen konnte, und zischte ihm zu: "Mitkommen!"
Draußen stand der seltsame Mann mitten auf der zugeschneiten Rasenfläche in der Nähe der Vogeltränke. Um ihn herum schneite es heftiger als vor dem Haus oder im Rest der Stadt, und sein Atem schien nicht nur die Fensterscheiben der Häuser im Umkreis zum Beschlagen sondern auch noch zum Zufrieren, aber aus dieser gewissen Entfernung zum Glück nicht zum Bersten zu bringen. Der Alte wrang nervös die Hände in den weißen Pelzfäustlingen, als Hermine wutschnaubend auf ihn zu stürmte.
"Was fällt Ihnen eigentlich ein? Und was genau tun Sie hier eigentlich?" herrschte sie ihn an.
"Genau!" ergänzte Ron, obwohl er nicht den geringsten Schimmer hatte, was hier eigentlich vor sich ging.
"Es tut mir so unendlich, unendlich leid!" wimmerte der Mann und Eiszapfen splitterten dabei aus seinem Bart. Dazu kullerten ihm dicke Tränentropfen aus den farblosen Augen, die sich, kaum hatten sie seine Wangen erreicht, in besonders dicke Schneeflocken verwandelten. Unter weiteren Entschuldigungen und auch Verbeugungen, stammelte er Erklärungen: "Ich bin... ich... ich bin... Mein Name ist... Väterchen... Väterchen Frost. Es tut mir so unendlich... unendlich... leid. Ich weiß nicht, was dieses Jahr los ist. Ich habe keine Ahnung. Ich habe das alles nicht gewollt. Aber ich kann... ich kann... ich komme... einfach nicht zurück zum Nordpol. Ich habe schon alles versucht, jeden Zauber, jede Mitfahrgelegenheit... Und meine Anwesenheit in diesen Breitengraden löst eine Winterkatastrophe nach der anderen aus. Es tut mir so, so leid!"
Ron und Hermine schauten sich vollkommen sprachlos an. Dann stupste Ron Hermine in die Seite. "Im Büro gab es auch schon laute Spekulationen, warum der Winter diesmal so lange anhält. Da wurde schon spekuliert, ob nicht ein paar Dementoren ihr Unwesen irgendwo treiben. Hast du jemals etwas über diesen 'Väterchen Frost' gehört?"
Hermine nickte. "Es ist eine Gestalt, über die in Märchen und so erzählt wird. Zumindest in der Muggelwelt, als ich noch ein Kind war. Ich hab nie geglaubt, dass es diese Person wirklich gibt!"
Die reichlich fließenden Tränen von Väterchen Frost hatten unterdessen die Ausmaße eines mittleren Schneesturms angenommen.
"Da macht es wohl auch nicht wirklich Sinn, ihn hereinzubitten und ihm eine Tasse heißen Tee anzubieten?" Rons Blick konnte zweifelnder nicht sein. Wäre Väterchen Frost nicht schon vor Kälte starr, so hätte ihn spätestens diese Einladung erstarren lassen.
"Um Himmels Willen, das wäre sein Tod! Außerdem würde er unser schönes Zuhause vernichten!" rief Hermine gleichzeitig. "Wir sollten vernünftig überlegen, warum er den Weg zurück zum Nordpol nicht findet und wie wir ihm helfen können."
"Aber muss das denn unbedingt hier in der Eiseskälte sein? Können nicht wenigstens wir reingehen und einen heißen Kakao trinken? Oder besser noch einen Glühwein? Und was essen?" bibberte Ron.
"Jetzt sei doch nicht so piselich", gab Hermine zurück. "Denk' an den armen, alten Mann hier, der völlig desorientiert ist und..."
Weiter kam sie nicht. Ein ohrenbetäubender Knall erschütterte Haus, Garten, Vogeltränke und alle Anwesenden. Auf dem Dach des gemütlichen, kleinen Reihenhauses in der Muggelvorstadt war mit lautem Getöse ein großes Schlittengespann mit elf Rentieren gelandet, und ein dicker Mann in einem roten Mantel und mit einem langen, weißen Bart kam in den kleinen Garten herunter geschwebt.
"Ho! Ho! Ho!" polterte er. "Väterchen Frost? Kommt der nicht aus dem Osten? Ich bin der Weihnachtsmann, auch Santa Claus genannt, und meine Rentiere und ich irren nun schon seit über drei Wochen durch diese Breitengrade, und auch wir können den Heimweg zum Nordpol nicht finden. Die armen Tierchen sind schon ganz erschöpft. Rudolfs Näschen leuchtet schon gar nicht mehr so schön rot wie sonst immer."
Ron starrte den in Rot gekleideten Mann entgeistert an, doch bevor er auch nur ein Wort heraus bringen konnte, versank die Welt um ihn herum in ein dichtes Weiß. Massenhaft Schneeflocken fielen vom Himmel. Und nicht nur das. Mit einem lauten Knall, landete ein weiteres Gefährt, diesmal jedoch nicht auf dem Dach, sondern mitten im wirbelnden Schnee des Hinterhofes. Ganz weiß war sie, die Kutsche, gezogen von zwei weißen Hirschen. Eine elegante Dame, gekleidet in weißen Pelzen stieg anmutig heraus und gesellte sich zu dem Quartett. "Guten Tag, ich bin die Schneekönigin und ich..."
Doch bevor sie ihren Satz beenden konnte wurde sie schon von einer erbosten Hermine unterbrochen. "Lassen Sie mich raten! Sie können ihren Weg zum Nordpol nicht finden und irren schon seit Wochen durch die Gegend."
Die Schneekönigin betrachtete Hermine mit einem eisigen Blick aus ihren stahlblauen Augen. "Das ist in der Tat der Fall. Das Nordlicht scheint verschwunden, kleine Lady..."
Abermals wurde sie unterbrochen, denn nichts hasste Hermine mehr, als 'kleine Lady' genannt zu werden. "Aber warum, zum Merlin, landen Sie alle hier? Hier ist doch nicht King's Cross! Unser Hinterhof ist doch kein Basislager für gestrandete Reisende!"
Ron, dem es mittlerweile arg kalt geworden war - stand er doch schon bis zu den Knien im dicken Schnee - wurde es auch langsam zu dumm. Väterchen Frost, Santa Claus und jetzt noch die Schneekönigin. Was zum Donnerdrummel wollten all diese Personen von ihnen?
Hermine seufzte und muckelte sich noch mehr in ihren Mantel, rief ihre alberne, aber warme Mütze zu sich und versuchte das Ganze logisch anzugehen. Klimaerwärmung! Konnte das vielleicht die Magnetstrahlen verändern die Väterchen Frost, Santa Claus und die Schneekönigin brauchten, um nach Hause zu finden? Könnte ein Navi helfen? Oder Harry? Sie dachte kurz nach und flohte Harry an. Vielleicht hatte er eine Idee.
Währenddessen unterhielten sich diese angeblichen Märchenfiguren und hofften, dass Hermine und Ron eine Lösung finden würden. Immerhin saß die Prinzessin Frühling fast schon im Startloch.
Ron betrachtete die beiden älteren Herren und die strahlend schöne, kalte Königin mit wachsendem Unbehagen. Vor Kälte schlotternd stapfte er auf der Stelle von einem Fuß auf den anderen. "Kann ich Euch nicht doch etwas Warmes zu Trinken anbieten?"
Die Schneekönigin warf ihm einen mehr als herablassenden Blick zu.
"Oder wie wäre es dann mit einem Eis? Erdbeer? Schoko? Banane vielleicht?"
In diesem Moment kam Hermine durch die Hintertür zurück in den Garten im Hinterhof. Sie hatte Harry Potter nicht erreichen können. Vielleicht war er wieder einmal in Aurorendingen unterwegs. Wie es aussah, mussten Ron und sie dieses frostige Abenteuer allein bewältigen.
Ron sah Hermine neugierig an. Als diese den Kopf schüttelte seufzte er tief und sah die seltsamen Besucher an. Er wollte sie loswerden, etwas essen und dann ins Bett. Allerdings waren die Chancen darauf verschwindend gering. Wie er seine Hermine kannte, würde sie ihn in eine Bibliothek zerren, um eine Lösung zu finden. Dabei hatte er sooo einen Hunger und fror so erbärmlich. Den Warmhaltezauber hatte er mal wieder vergessen, und Hermine war in ihrem 'Ich-löse-alles-Modus', sodass sie es nicht bemerkte. Er rollte die Augen und dachte daran, dass er gedacht hatte, nach der Schule und der Vernichtung Lord Voldemorts hätte er ein bequemes Leben. Falsch gedacht, dachte er sich.
"Adamssohn!" Ron fuhr zusammen, als er eine große, kalte Hand auf seiner Schulter fühlte. Er wirbelte herum und sah eine weitere bleiche, in dicke Pelze gewandete Dame neben sich stehen. Sie war mit einem weiteren Schlitten, gezogen von zwei Rentieren, in ihrem kleinen Hinterhofgarten gelandet. Allmählich wurde es wirklich eng hier.
"Ich bin Jardis, die Weiße Hexe, Herrscherin von Narnia, und Du sagst mir augenblicklich, wo ich den Löwen namens Aslan finden kann!"
Hermine ging beherzt dazwischen. "Sie gehören nun eindeutig zur Konkurrenz!" fauchte sie die unnatürlich große Frau an. "Auch sieben Bände, aber wesentlich weniger umfangreich und dafür mit einer mehr als offensichtlichen, christlichen Botschaft."
Ron sah seine Frau bewundernd an. Alles, was sie sagte, klang klug und belesen, auch wenn er nicht ein Wort davon verstand. Dann zog er Hermine außer Hörweite ihrer vier ungewöhnlichen Gäste. "Die müssen hier weg!" sagte er mit verschwörerischer Stimme. "Ich habe da auch schon so eine Idee. Ich habe gestern mit Hagrid gesprochen. Er hat gefragt, ob wir ihn nicht mal wieder besuchen möchten. Wie wäre es, wenn wir das Väterchen, den Santa, die Königin und diese Hexe und ihr versammeltes Viehzeug erst mal im Verbotenen Wald zwischenparken? Der ist relativ weit weg von der nächsten menschlichen Ansiedlung. Du kannst in der Bibliothek von Hogwarts nach einer Lösung für das Problem dieser vier Wintergestalten suchen. Hagrid kann sich um die Tiere kümmern. Und da es im Wald, wie Hagrid sagt, im letzten Sommer und Herbst ein gewaltiges Schneckenproblem gab, tut dem ein bisschen mehr Eis und Schnee bestimmt auch mal ganz gut."
Hermine gab ihm einen dicken Schmatz auf den Mund. "Manchmal bist Du echt zu was zu gebrauchen!"
Nachdem sie die vier Gestalten in ihren Plan eingeweiht hatten, nahmen sie im Schlitten des Weihnachtsmanns Platz, und in wilder Fahrt ging es durch die Luft über verschneite Städte, Felder, Wiesen und Wälder in Richtung Hogwarts. Die Weiße Hexe mit ihrem Schlitten und die Schneekönigin mit Väterchen Frost in ihrer Kutsche folgten ihnen in geringem Abstand.
Ron wurde es auf einmal sehr, sehr kalt und seine Nackenhaare stellten sich auf. Als er sich umdrehte, sah er, dass die Weiße Hexe und auch die frostig-schöne Schneekönigin sich direkt hinter ihm gegenseitig wütende Blicke zuwarfen, wobei die eine einen Bottich mit türkischem Honig in ihrer Pelzjacke verschwinden ließ und die andere einen Eiszapfen in ihre Haare steckte. Und irgendwie schienen beide weißen Frauen Väterchen Frost schöne Augen zu machen. Was war denn da los? Etwas irritiert drehte Ron sich nach vorn zum Weihnachtsmann.
"Sagen Sie, Santa Claus?" fragte er. "Sind Sie eigentlich verheiratet?"
"Also hören Sie mal! Natürlich bin ich verheiratet! Mit Frau Santa Claus." Auf einen merkwürdigen Blick seines Rentieres Rudolf hin, das seinen Kopf nach hinten und ihm zugewandt hatte, fuhr Herr Santa leise fort: "Wir leben in Trennung. Nach den Feiertagen bekam ich plötzlich eine Nachricht durch einen der Weihnachtselfen, dass sie mich verlassen habe. Sie hätte genug davon, dass ich in der Welt herumreise und sie nichts Anderes als den Nordpol zu sehen bekomme, dass sie außerdem die ganze Arbeit hätte und ich dafür den ganzen Dank erhielte. Sie ist in der Karibik."
"Mist!" grummelte sich Ron in einen nicht vorhandenen Bart. Also würde aus seinem frisch ersonnenen Plan, die Weiße Hexe mit Väterchen Frost und die Schneekönigin mit Santa Claus zu verkuppeln und sie alle vier auf diese Weise vielleicht los zu werden, nun doch nichts werden. Also musste er sich etwas Anderes ausdenken, oder Hermine allein nach einer Lösung suchen lassen.
Mittlerweile hatten sie Hogsmeade erreicht, eine Spur von Schneechaos quer durchs Land hinterlassend. Hermine wies Santa Claus an, wo er den Schlitten landen sollte. Die Kutsche der Schneekönigin und der Schlitten der Weißen Hexe folgten. Ganz am Rand des Verbotenen Waldes fiel nun dichter Schnee und es wurde frostig kalt.
"Könnt ihr das nicht mal abstellen?" fragte Ron vorwurfsvoll, stand er doch schon wieder bibbernd bis zu den Knien in einer Schneewehe. "Bei dieser Kälte kann man ja nicht denken."
"Das hört erst auf, wenn wir in unsere Schnee- und Eispalästen am Nordpol zurückgekehrt sind. Aber da wir den Weg nicht finden, wird es hier auf immer Winter sein", antwortete die Schneekönigin, und wie zur Bestätigung ihrer Worte setzte ein noch heftigerer Schneefall ein.
Hermine hatte in der Zwischenzeit einen Patronuszauber mit einer Nachricht an Hagrid geschickt, und es dauert nicht lange, da kam der riesige Wildhüter von Hogwarts, dick eingemummelt in seinen Fellmantel, auch schon durch den Schnee gestapft.
Als er sich den Besuchern immer mehr näherte, fielen ihm fast die Augen heraus bei dem Anblick der beiden frostigen Damen. Wie eine Motte vom Licht schien er von ihnen angezogen zu werden und wankte träumerisch auf sie zu. "Meine holden Schönheiten, Rubeus Hagrid mein Name. Stets zu Ihren Diensten, die Damen!" sprach er und verbeugte sich ungelenk.
"Was ist denn mit dem los?" staunten Ron und Hermine.
Doch Hagrids Faszination von den beiden eiskalten Königinnen kühlte merklich ab, als die beiden Frauen begannen, sich zu streiten und sich zu beschimpfen.
"Mein Eispalast ist das Schönste, was man jemals nördlich des Polarkreises gesehen hat", prahlte die Schneekönigin.
"Pah!" höhnte die Weiße Hexe. "Eine abgetakelte Bruchbude ist das, Du bleiches Gespenst. Nichts misst sich an Schönheit mit mir und meinen Eisskulpturen!"
Die vier Wintergestalten hatten sich von ihren Kutschen und Schlitten und ihren Zugtieren entfernt, standen im Kreis und brüllten aufeinander ein.
"Die Weihnachtsgeschenke, die meine Weihnachtselfen in meiner Weihnachtsgeschenkefabrik herstellen, sind die aller-, allerbesten und lassen jedes Kinderauge leuchten!" schrie der Weihnachtsmann Väterchen Frost an.
"Du verschenkst doch nur Billigware aus Taiwan, Du rote Fettbacke!" entgegnete dieser.
Und während sie stritten, wehte der Wind um sie herum immer ungemütlicher.
"Was'n hier los?" fragte Hagrid verblüfft.
In aller Eile versuchten Hermine und Ron, ihn auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen. Selbst seine Idee, den Verbotenen Wald mit etwas Extraschnee und Extrafrost von den Schnecken zu befreien, ließ Ron nicht unerwähnt, nicht ohne Stolz auf diesen guten und zugleich praktischen Einfall.
"Die Schnecken sind schon lange Geschichte, Ron", brummte Hagrid. "Alle gefressen von den Schrumpfhörnigen Schnarchkacklern."
Hermines verächtliches Schnauben bei der Erwähnung dieser magischen Geschöpfe irritierte ihn etwas.
"Doch, doch. Ich hatte eine ganze Rotte hier im Herbst zum Schuljahresbeginn. Auf der Koppel da drüben." Er zeigte auf ein eingezäuntes Stück verschneiter Wiese am Rand des großen Waldes. "Nette kleine Kerlchen sind das. Und so schlau. Und kurz nach dem ersten Schneefall haben sie sich zwischen die Baumwurzeln zurückgezogen und sich verpuppt. Bin wirklich gespannt, was im Frühjahr aus den Kokons schlüpft. Steinhart sind die, wie Granit. Und dabei schwingen sie wie Trommelfelle."
Ein verträumtes Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Wildhüters und Lehrers für Pflege Magischer Geschöpfe. Doch dann fiel sein Blick auf die Hirsche der Schneekönigin und die Rentiere des Weihnachtsmanns und der Weißen Hexe. "Also, das ist doch..." Er stemmte zornig die Hände in die Seiten. "Was haben sie denn mit euch Schönheiten gemacht? Ihr seid ja total müde und erschöpft!"
Er spannte die Zugtiere aus ihren Geschirren und trieb sie mit seinen riesigen Pranken auf die Koppel, die er für die Schnarchkackler angelegt hatte. Dann stampfte er ohne ein weiteres Wort oder einen weiteren Blick für Ron und Hermine durch den hohen Schnee in Richtung Schlossgelände, wo er etwas Heu und Stroh für die Wildtiere besorgen wollte. Vielleicht hatte er auch noch irgendwo einen großen, leckeren Salzkristall für sie zum Lecken.
Hermine und Ron blieben zurück mit dem frostigen und gerade ziemlich streitbaren Quartett, Hermine noch immer kopfschüttelnd über Hagrids Erwähnung der Schrumpfhörnigen Schnarchkackler. Luna Lovegood hätte sicher ihre verzückteste Freude daran gehabt.
Ihre Aufmerksamkeit wurde wieder von den Streitenden angezogen, als die Schneekönigin mit widerlich süßlicher Stimme Väterchen Frost fragte: "Wo hast Du eigentlich Deine Enkelin Schneeflöckchen gelassen?"
Als Antwort erhielt sie nur ein fast unverständliches Gebrabbel, dem man nur die Worte 'Karibik' und 'verbotene Kinderarbeit' entnehmen konnte.
"So ein Zufall!" Die Schneekönigin lächelte ein eiskaltes Lächeln, das die Hölle zum Zufrieren hätte bringen können, und ihre blauen Augen versprühten spitze Hagelkörner. "Dorthin habe ich auch meinen kleinen Freund Kai und seine unerträgliche Schwester Gerda geschickt. Sag' mal", sie lehnte sich verschwörerisch zu Väterchen Frost hinüber, "weiß Snegurotschka von dem Plan, die Karibik und dann die ganze Welt mit ewigem Eis und Schnee zu überziehen? Arbeitet sie mit am Winterplan?"
Hermine, die dieses Gespräch aufgeschnappt hatte, sog empört die Luft ein. Na, diesen Plan galt es aber auf jeden Fall zu vereiteln. Drei Monate Winter, schön und gut, aber eine weiße und kalte Welt bis in alle Ewigkeit? Nur über ihre Leiche!
Hermine konnte beobachten, wie sich nun auch die Weiße Hexe und Santa Claus zu den beiden gesellten, und erstere auch gleich nachfragte: "Wer hat eigentlich Frau Holle zur Mitarbeit bewegen können? Die ist doch sonst nie so eifrig dabei, wenn wir Pläne schmieden?"
Mister Santa sah die beiden Frauen an, als ob er gar nicht wisse, worum es eigentlich ging in ihrer kleinen Unterhaltung, während die Schneekönigin nur mit den Schultern zuckte und Väterchen Frost die Stirn runzelte.
Auch Hermine runzelte die Stirn und überlegte, ob sie bei Väterchen Frost und Santa vielleicht Unterstützung finden könnte. Aber wie konnte sie das am geschicktesten herausfinden? Zitternd und bibbernd versuchte sie nachzudenken, dann sah sie ein, dass es so keinen Zweck hatte und rief kurz entschlossen: "Bitte ein Hauself zu mir!"
Es ploppte, und ein ihr unbekannter Elf erschien. "Was kann ich für Misses tun?"
"Ein paar Decken, Schokolade und ganz viel Kakao, bitte", kam es wie aus der Pistole geschossen.
"Was willst Du denn jetzt damit?" fragte Ron seine Frau, am ganzen Körper schlotternd. "Lass' uns doch lieber in Hagrids Hütte gehen. Da ist es bestimmt auch schön warm am Kamin und so. Und Kakao und Schokolade bekommen wir bestimmt auch von ihm."
"Warte kurz", unterbrach ihn Hermine, während sie weiter versuchte, Gesprächsfetzen von dem winterlichen Quartett aufzuschnappen.
"Du hast ein Gedächtnis wie ein Sieb, werte Weiße Hexe, so genannte Königin von Narnia", raunzte die Schneekönigin gerade ihre Kollegin an. "Hast Du vergessen, dass Du mir Deine Schwarzzwerge und Wölfe ausgeliehen hast und ich sie zu Frau Holle geschickt habe? Wenn alles gut gegangen ist, dann sitzt die alte Schachtel jetzt gefesselt in ihrem Keller, und Deine Diener lassen es bis in alle Ewigkeit schneien. Schüttelt die Betten! Schüttelt! Schüttelt!" rief sie mit einem gemeinen Gesichtsausdruck hinauf in Richtung Himmel und in das ständig zunehmende Schneegestöber.
"Natürlich", zischte die Weiße Hexe Jardis und kniff den Mund zusammen, "natürlich erinnere ich mich! War ja zum größten Teil mein eigener Plan. Aber ihn da", sie zeigte mit hassverzerrtem Gesicht auf den Weihnachtsmann in seinem roten Mantel, "ihn da brauchen wir nicht mehr. In meinem Land Narnia, wo ich nun seit beinahe hundert Jahren herrsche, haben wir schon ewigen Winter, aber niemals Weihnachten. Und das ist auch gut so. Soll er doch zu seiner Frau in die Karibik verschwinden! Oder sich am besten gleich ganz aus dem Staub machen. Hier werden wir auch keine Verwendung mehr für ihn haben, wenn ich erst mal Herrscherin über die Welt der Adamssöhne und Evastöchter bin!"
Die Reaktion der anderen wartete Hermine nicht mehr ab. Was war eigentlich los? Frau Holle gefangen? Das ganze schien ja eine regelrechte Winterverschwörung zu sein. Sie musste jetzt dringend in die Bibliothek von Hogwarts und nach einer Lösung in den Büchern dort suchen, wenn hier schon lauter Roman- und Märchenfiguren durch die Gegend liefen. Vielleicht würde ihr auch ein Gespräch mit Madame Pince, der Bibliothekarin, weiterhelfen.
Sie drückte Ron den Kakao, die Schokolade und die Decken, die der Hauself inzwischen gebracht hatte, in die Hand und raunte ihm zu: "Warte hier auf Hagrid und behalte diese Gestalten im Auge. Sieh' zu, dass die erst mal hier bleiben und nicht durch die Gegend laufen und noch mehr Chaos anrichten!" Dann stapfte sie durch den immer tiefer werdenden Schnee in Richtung Schloss davon.
"Na, prima!" murrte Ron und nahm einen ordentlichen Schluck heiße Schokolade. "Aber in dieser Kälte halte ich das nicht mehr lange aus", murmelte er zwischen klappernden Zähnen. Er zückte seinen Zauberstab und begann die meterhoch liegenden Schneemassen in Würfel zu pressen. Anschließend ließ er die Würfel sich zu einem stattlichen Iglu formieren. Dann schnitt er mit einem erneuten Schlenker seines Zauberstabs eine Öffnung heraus. "Bitte einzutreten, die Herrschaften. Ist vielleicht nicht so stattlich wie Ihre Schnee- und Eispaläste, aber doch etwas geschützter, als hier in diesem eisigen Wind herumzustehen."
"Eisiger Wind? Was für ein eisiger Wind?" wollte die Weiße Hexe pikiert wissen. "Das ist doch ein himmlisches Wetter!"
"Das sehe ich ebenso: Ein wundervolles Wetter! All der schöne Schnee, der vom Himmel fällt und die Landschaft in ein weißes Kleid hüllt! Was kann es Schöneres geben!" pflichtete die Schneekönigin ihr bei.
Also verkroch Ron sich allein im Iglu, die Bande draußen im Winterwetter immer im Auge. War vielleicht wirklich keine so gute Idee gewesen, die vier einzusperren, lieber wollte er versuchen, selber wieder wärmer zu werden und die Kälte auszusperren. Im Moment machten sie noch keine Anstalten, sich von ihm zu entfernen. Sie stritten mal wieder. Und Ron wartete. Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu Stunden, so schien es ihm.
Hagrid kam mit Heu und Stroh, frischem Wasser und einigen Salzlecksteinen zurück. Er versorgte die Hirsche und Rentiere, dann versuchte er sich zu Ron in das Iglu zu zwängen. Erst nachdem sie einige Schneequader aus dem gewölbten Dach entfernt und nach oben hin angebaut hatten, passte der Wildhüter hinein.
"Komische Gesellschaft das!" brummte er und nickte in Richtung der beiden weißen Frauen und der alten Knacker. "Hermine sucht eine Lösung? Schlaues Mädchen, deine Hermine!"
Gerade als die Weiße Hexe und die Schneekönigin sich in den Haare darüber lagen, wer denn nun die Weltherrschaft an sich reißen würde und vor allem, wo denn nun der Weltherrschaftssitz sein sollte, kam Hermine wieder zurück, wie nicht anders erwartet mit einem dicken Buch unter dem Arm. Sie trat auf Ron zu und klatschte ihm den dicken Schinken vor die Brust.
"Da, lies!" sagte sie knapp. "Seite 102, und ein bisschen schnell, wenn ich bitten darf!"
Zu Hagrid gewandt fuhr sie fort: "Hagrid, jetzt musst Du eine Zeit lang auf unsere 'Gäste' aufpassen. Ron und ich müssen uns auf eine Rettungsmission begeben."
Hagrid richtete sich auf und brachte somit nun doch Rons Iglu zum Einsturz. Kaum hatte er sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet, wurde er auch schon von den beiden Königinnen umringt. Sie zwirbelten seinen Bart, sodass dieser im Nu mit Eiskristallen durchsetzt war.
"Ich habe ihn zuerst gesehen!" keifte die Schneekönigin. "Er wird mein Prinzgemahl!"
Doch die Weiße Hexe versuchte permanent, sich zwischen die beiden zu drängen. "Von der Größe her passt er viel besser zu mir!"
Hermine nickte. Auf diese Weise waren sie wenigstens eine Weile beschäftigt. Und sie packte Ron am Arm und zog ihn mit sich in die Straßen von Hogsmeade.
Ron versuchte unterdessen das Buch, das ihm Hermine gegeben hatte, im Laufen auf der angegebenen Seite zu lesen. Er blätterte schnell, hielt aber kurz inne, um zu fragen: "Ein Märchenbuch? Glaubst du, dass uns das jetzt weiter hilft?"
"Du hast wohl vergessen, wie gut uns die Märchen von Beedle, dem Barden geholfen haben, damals im Kampf gegen Lord Voldemort. Madame Pince meint auch, jedes Märchen hat einen wahren Kern. Hast du inzwischen das auf Seite 102 gelesen?"
Ron hatte endlich die passende Seite gefunden, während sie schon die Hauptstraße von Hogsmeade entlang eilten. "Frau Holle?" las er laut vor. "Haben die Schneekönigin und die Hexe nicht vorhin von so einer Frau gesprochen?"
"Du hast es erfasst. Aber jetzt lies endlich. Vielleicht findest Du etwas in dem Märchen, das uns helfen kann, Frau Holle aus der Gewalt der Diener der Weißen Hexe zu befreien. Und wenn es erst mal aufhört, so wild zu schneien, dann finden wir vielleicht auch eine Möglichkeit diese Wintergestalten wieder loszuwerden."
Ron überflog und las und blätterte. "Goldmarie… Pechmarie… Spinnen am Brunnen… Brotbacken… Äpfelernten… Bettenmachen und Ausschütteln… Was soll denn das alles? Und wo wollen wir überhaupt hin?"
Hermine blieb kurz stehen und sah ihn leicht genervt an. Als Ron zu ihr aufsah, bemerkte er, dass sie direkt vor den 'Drei Besen', dem Gasthaus an der Hauptstraße von Hogsmeade, standen. Hermine zeigte auf die Eingangstür. "Durch den Schankraum geht es in die Küche, und von dort in einen Hinterhof. Und was gibt es in diesem Hinterhof?"
Ron zuckte resigniert die Schultern. Er hatte keine Ahnung und auch keine rechte Lust auf Ratespielchen.
"EINEN BRUNNEN natürlich. Alles, was wir tun müssen, um ins Land von Frau Holle zu gelangen, ist, in diesen Brunnen hinab zu steigen. Jedenfalls glaube ich das. Und Madame Pince und dieser neue Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste meinten auch, dass es durchaus möglich sein könnte, dass…"
Ron unterbrach sie: "Moment mal. Du meinst, man kann einfach in jeden beliebigen Brunnen steigen und schon ist man im Land von dieser Holle? Wir sind aber nicht Goldron und Pechhermine! Außerdem habe ich keine Lust auf Brotbacken und Apfelbäumeschütteln und Bettenmachen und den ganzen Mist. Mennoh, ich hatte doch eigentlich Feierabend und wollte mir im Flohnetzwerk das Toppspiel der Quidditch-Liga anschauen und hinterher vielleicht noch mit Harry ein Butterbier trinken."
Doch Hermine duldete keinen Widerspruch, zog ihn einfach mit sich ins Wirtshaus und an den überraschten Gästen und der Wirtin vorbei durch die Hintertür wieder hinaus auf den Brunnen zu. Und dann fielen sie mehr als dass sie in die Tiefe hinab stiegen und kamen tatsächlich auf einer Wiese wieder heraus. Dies musste das Land von Frau Holle sein. Und hier war nicht Winter.
Rons Befürchtungen, hier arbeiten zu müssen, damit alles ein gutes Ende nahm, bewahrheiteten sich jedoch nicht. Die Blumenwiese war vertrocknet, der Apfelbaum mit den überreifen Äpfeln gefällt, und der Backofen mit dem fertigen Brot, das Goldmarie und Pechmarie hatten herausholen sollen, lag zertrümmert am Boden.
"Langsam jetzt! Und vorsichtig!" flüsterte Hermine nach einer Weile, als sie sich einem Haus mit sehr großen Fenstern näherten. Hier musste Frau Holle wohnen. Von drinnen kam lautes Geheule und Gejohle. Wölfe konnten sie erkennen und kleine, dunkle Zwerge. Das mussten die Helfershelfer der Weißen Hexe Jardis sein. Und da lag auch ein großes, dickes Federbett in einem der Fenster und eine kleine, schmutzige Gestalt hüpfte darauf herum.
"Und jetzt?" flüsterte Ron, während sie sich hinter einem vertrockneten Dornenstrauch verbargen.
"Jetzt vertreiben wir die üble Bande und befreien Frau Holle!"
Doch Hermine fand, dass sich ihre Stimme zuversichtlicher anhörte, als sie war, denn sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie das anstellen sollten.
Und Ron musste mehr als einmal gegen das in ihm wachsende Unbehagen anschlucken. Gegen Wölfe und wilde Zwerge kämpfen, um eine beängstigende Frau mit sehr großen Zähnen zu befreien, wie es über Frau Holle im Märchenbuch hieß. Na, das konnte ja heiter werden.
"Ich werde es mit dem Amnesia-Zauber versuchen", murmelte Hermine. "Wenn die Wölfe und Zwerge vergessen haben, wer sie hier her geschickt hat und warum sie hier sind, können wir sie vielleicht dazu bewegen, sich auf den Weg in die Heimat zu machen."
"Vielleicht?" Ron packte Hermine hektisch am Ärmel, doch es war schon zu spät. Hermine richtete ihren Zauberstab auf das Haus. "OBLIVIATE!"
Das Geheule und Gejohle verstummte augenblicklich, und Hermine warf Ron einen triumphierenden Blick zu. Nach und nach kamen die Zwerge und Wölfe aus dem Haus getrottet. Hermine, die sich nun nicht länger verbarg, grüßte jeden freundlich und schickte sie mit einem "Vielen Dank, aber Ihre Dienste werden nicht länger benötigt..." auf den Weg.
"So, jetzt müssen wir Frau Holle finden", meinte sie dann und schleppte den widerstrebenden Ron in das Haus. Dort fanden sie ein wildes Durcheinander von Betten, Kissen und Federn vor.
"Haben die hier gewütet!" staunte Ron.
"Widerliches Pack", grummelte Hermine und sah sich suchend im Zimmer um. Dann ging sie auf eine Tür zu.
"Sieh' mal, Hermine", rief Ron sie zurück und zeigte auf ein langes Rohr, das durch den Fußboden nach unten gerichtet war, aus dem aber Tageslicht zu dringen schien. Er sah hinein. "Das ist Hogwarts", stammelte er.
"Lass' sehen!" Hermine schob ihn beiseite. "Wirklich. Und der Schnee hat endlich aufgehört. Merlin sei Dank. Aber es ist klarer Himmel." Dann schwieg sie kurz. "Ich denke, es muss jetzt sehr kalt dort sein, Ron. Ich höre heulenden Wind und sehe umknickende Bäume! Der halbe Verbotene Wald steht schon nicht mehr und – Oh, nein, einige Tiere...!" Sie schluckte. "Hagrid schaufelt sich gerade durch den Schnee und kann sich kaum noch bewegen. Wir müssen uns beeilen! Dieser Horror-Winter ist noch nicht vorbei."
Sie sahen sich weiter im kleinen Haus von Frau Holle um. Sie kamen in eine kleine Küche, aus der außer der Tür, durch die sie hereingekommen waren, noch zwei weitere wieder hinaus führten. Ron öffnete die erste. "Hier geht eine schmale Holztreppe nach oben", sagte er. "Hat die Schneekönigin nicht gesagt, diese Holle liegt gefesselt in ihrem Keller?"
Hermine nickte stumm und ging auf die andere Tür zu. "Dann muss das hier die Kellertür sein, oder hast du sonst noch eine Tür oder Treppe gesehen, die nach unten führt?"
Doch Ron konnte keine Antwort mehr geben, denn in diesem Augenblick sprangen ein großer, grauer Wolf und ein grimmiger Schwarzzwerg durch das Glas des geschlossenen Küchenfensters. Der Wolf sprang Ron an, warf ihn um und stellte sich mit seinen Vorderpfoten und seinem ganzen Gewicht auf seine Brust, während der Zwerg Hermine von hinten packte und ihr die Arme auf den Rücken bog.
"Du glaubst doch nicht im Ernst, dass deine Erdenmagie uns Narnianen etwas anhaben kann, Evastochter?" Er ließ ein tiefes, freudloses Lachen hören. "Wir sind Diener der Weißen Königin Jardis. Maugrim hier ist sogar der Hauptmann ihrer Geheimpolizei. Unsere Verbündeten sind nur unterwegs, um Verstärkung zu holen!"
Der Wolf fletschte die Zähne nah vor Rons Gesicht und knurrte: "Du redest zuviel, Zwerg! Was machen wir jetzt mit diesen hier?"
"Fesseln und hinunter zu der Alten!" triumphierte der kleine Mann.
Von draußen war nun das laute, hektische Geschepper von Glöckchen zu hören. Als der Zwerg Hermine zur Kellertür führte, konnte sie einen Blick auf die Landschaft vor dem Haus von Frau Holle werfen. Die verdorrten Wiesen und Sträucher waren nun auch von einer dicken Schnee- und Eisschicht bedeckt, und aus einer grauen Schneesturmwolke am Horizont bewegten sich schwarze Punkte, die zunehmend näher kamen und größer wurden.
Ron war auch wieder auf den Beinen, aber der Wolf hielt seinen Ärmel mit seinem starken, scharfen Gebiss gepackt. Auch er sah, dass sich da irgendetwas oder irgendjemand in großem Tempo näherte. Schon konnte er eine Kutsche, gezogen von zwei weißen Hirschen, und zwei Schlitten mit Rentiergespannen erkennen.
"Die hier müssen warten!" kläffte Maugrim, der Wolf. "Unsere Herrscherin ist eingetroffen."
Das mittlere Rentiergespann lenkte die Weiße Hexe. Schwarzzwerge saßen um sie herum. Wölfe liefen zwischen den Gefährten und flankierten sie. Mit lautem Kampfgeschrei feuerte Jardis die Tiere und ihre Mitstreiter an. In der Kutsche saßen die Schneekönigin und Väterchen Frost. Auf dem Schlitten des Weihnachtsmanns, der von einem Zwerg gelenkt wurde, lagen statt Geschenken, aber trotzdem fein säuberlich verschnürt und verpackt, der Santa Claus selbst und - sie mussten ihn, wusste der Donnerdrummel wie, überwältigt haben - HAGRID!
Unter wildem Getöse kam die Schar vor dem Haus von Frau Holle zum Stehen. Die Weiße Hexe stieg ab und riss mit wildem Schwung, von dem das Holz und der Fußboden erbebten, die Haustür auf. "Sieg!" brüllte sie. "Ein Sieg auf der ganzen Linie! Bringt mir meinen Zauberstab! Ich verwandele die alte Wetterhexe und ihre Helfershelfer zu Stein! Und dann lasst' es schneien! Und ich werde Herrscherin über die Erde und den ewigen Winter!"
Bei ihrem bösartigen Lachen stellten sich Ron die Nackenhaare auf.
Die Wölfe und Zwerge hatten sich ehrfurchtsvoll und ängstlich um ihre Gebieterin gescharrt und sahen unterwürfig zu ihr auf, während einer ihrer Diener in ihrem Gepäck auf ihrem Rentierschlitten wühlte und ihr ihren Zauberstab brachte. Maugrim, der Hauptmann der Geheimpolizei, und der Zwerg, der Hermine gepackt hatte, waren unmerklich ein Stück von den beiden abgerückt.
In diesem Moment hörte Ron ein leises Geräusch an der Tür, hinter der sie die Kellertreppe vermutet hatten. Vor seinen staunenden Augen senkte sich ganz leicht die Türklinke. Doch die Tür war abgeschlossen, und der Schlüssel steckte von außen. Auch Hermine hatte es bemerkt und gab Ron ein möglichst unauffälliges Zeichen mit Augen und Brauen, er solle nicht so offensichtlich dort hinstarren.
Jardis inspizierte inzwischen den Raum mit dem großen, röhrenförmigen Fernrohr, von dem aus man scheinbar die ganze Welt sehen konnte, und dem Fenster, von dem aus man die Betten schütteln und es somit auf der ganzen Welt schneien lassen konnte. "Ja!" lachte sie. "So wird es funktionieren!" Dann wandte sie sich in Richtung Küche und richtete ihren versteinernden Zauberstab auf Ron und Hermine. "Und nun zu Euch!"
In diesem Moment hastete Ron, der der Kellertür am nächsten war, auf den Schlüssel zu, drehte ihn herum und drückte die Klinke hinunter. Hermine zückte zur gleichen Zeit ihren eigenen Zauberstab und schrie "PROTEGO!" in der Hoffnung, sich und Ron auf diese Weise schützen zu können.
Mit einem gewaltigen Schwung sprang die Kellertür auf, und darin stand die dickste und runzligste und zugleich freundlichste Frau, die Ron jemals gesehen hatte. Ihre hellen Augen blitzten beinahe fröhlich, und wer immer ihre Zähne als lang und spitzt beschrieben hatte, musste sich geirrt haben, denn sie waren ebenmäßig und weiß zwischen ihren Lippen zu erkennen, als sie alle Anwesenden strahlend anlächelte. Das musste sie sein - Frau Holle! Und wie es aussah, hatte sie sich selbst von ihren Fesseln befreien können.
Als ihre Blicke jedoch denen der Weißen Hexe begegneten wurden sie hart und grimmig. Sie breitete in einer ausholenden Geste die Arme aus und klatschte dann in die Hände.
"EVANESCO!" dröhnte ihr gewaltiger Ruf durch ihr Haus und das ganze Land draußen vor den Fenstern.
Die Wölfe und Zwerge erstarrten für kurze Zeit in ihren Bewegungen, dann verschwanden sie still und leise, jeder mit einem Plopp wie vom Zerplatzen einer Seifenblase.
"SO!" Frau Holles dröhnende Stimme ließ die Luft erzitternd, während sie, langsam einen Fuß vor den anderen setzend, auf die Weiße Hexe zuschritt.
Väterchen Frost und die Schneekönigin, die aus der Kutsche gestiegen waren, versuchten, sich nun hinter Jardis' Rücken wegzuducken.
"Ihr glaubt also, ihr könnt Frau Holle, die größte und wichtigste Wetterzauberin auf der Welt und in allen Universen, einfach so gefangen nehmen, einsperren und dann alles so mir nichts Dir nichts mit ewigem Winter überziehen?"
"Das war alles ihre Idee!" wimmerte die Schneekönigin und zeigte hinter ihrem Rücken auf Jardis, die Weiße Hexe. "Mich trifft keine Schuld!"
"GENUG!" brachte Frau Holle sie zum Schweigen.
Jardis hatte erneut ihren Zauberstab erhoben und zielte damit auf die alte Frau, doch diese vollführte eine kaum sichtbare Handbewegung, und der Zauberstab zerbrach in zwei Hälften.
"Nein!" jammerte die Weiße Hexe und versuchte nun ihrerseits, Väterchen Frost und die Schneekönigin als Schutzschilde zwischen sich und Frau Holle zu bringen, die Hälften ihres Stabes fest an sich gedrückt.
"Ich bin hier die Herrin über Eis und Schnee, Regen und Sonnenschein. Niemand außer mir und niemand ohne meine Erlaubnis darf hier die Betten ausschütteln. Merkt Euch das gut!" Frau Holle hatte die drei Wintergestalten in den Raum mit dem Bettzeug und dem großen Fernrohr zurückgedrängt. Nach einem kurzen Blick durch das Rohr und einem kleinen Zauber, der einen beinahe mannshohen Ring in der Luft erscheinen ließ, fuhr sie fort: "Nehmt eure Spießgesellen!"
Aus dem Ring, der eine Art Riss in der Luft und eine Öffnung in der Welt von Frau Holle umrandete, stolperten zwei kleine Mädchen, ein kleiner Junge und eine rundliche und rosige, ältere Dame in einem scharlachroten Badeanzug.
"Snegurotschka! Schneeflöckchen!" rief Väterchen Frost aus und schloss seine Enkelin beschützend in die Arme.
"Kai und Gerda, zu mir!" donnerte die Schneekönigin wesentlich unfreundlicher.
Nur die ältere Dame im Badeanzug, die offenbar gerade mitten aus einem Sonnenbad gerissen worden war, sah sich verstört und Hilfe suchend um.
"Also, nehmt eure Spießgesellen, und dann verschwindet auf der Stelle dorthin, wo ihr hergekommen seid und hingehört!" Mit einem weiteren, noch lauteren Ausruf - "EVANESCA!" - klatschte Frau Holle erneut in die Hände und alle Personen im Haus bis auf Ron und Hermine und die ältere Dame im Badeanzug waren verschwunden.
"Wow!" stieß Ron hervor. "Das war echt Klasse!"
Frau Holle war wieder ganz die nette, alte Dame mit dem verschmitzen, runzeligen Gesicht. "Folgen Sie mir, Misses Santa Claus", sagte sie zu der Frau in Scharlachrot. "Ich denke, es gibt da noch ein Weihnachtsgeschenk auszupacken für diese Saison."
Die Kutsche der Schneekönigin und der Schlitten der Weißen Hexe waren mit ihnen verschwunden. Am Rentierschlitten des Weihnachtsmanns angekommen, hatten Frau Holle und die anderen Santa Claus und Hagrid schnell von ihren Fesseln befreit. Santa schloss glücklich seine Frau in die Arme und hüllte sie dann schnell in einen seiner Reservemäntel.
Nachdem Frau Holle Rudolf, dem rotnasigen Rentier, etwas ins Ohr geflüstert und ihm einen Klaps auf die Hinterläufe gegeben hatte, erhoben sich Mister und Misses Santa Claus in ihrem Schlittengespann in die Lüfte in Richtung Nordpol.
"Ho! Ho! Ho!" hörten sie den Weihnachtsmann noch rufen. "Bis nächste Weihnachten, Frau Holle!"
Der Schnee ringsum das Haus von Frau Holle hatte nun auch zu tauen begonnen, und durch kleine Wasserpfützen schimmerten frisches, grünes Gras und erste, neue Schneeglöckchen.
Die alte Frau führte Ron, Hermine und Hagrid zurück in ihr Haus, wo Ron eine beängstigende Idee kam. "Wir müssen hier jetzt aber nicht für Sie arbeiten, damit wir wieder nach Hause kommen, oder?"
Hermine warf ihm einen tadelnden Blick zu, doch Frau Holle lächelte.
"Nein, ich denke ihr habt schon genug für mich getan. Aber wenn ich euch jetzt nach Hause schicke, dann erwartet ihr doch hoffentlich nicht, dass ich euch mit Bergen von Gold überhäufe, oder?"
"Nein, nein!" beeilte Hermine sich zu erwidern, bevor Ron noch etwas Dummes sagen konnte. "Es reicht uns vollkommen, dass wir diese Wintergestalten nun endlich wieder los sind." Dann, nach einem Moment der Ruhe, fügte sie fast kleinlaut hinzu: "Sie können es doch jetzt endlich aufhören lassen zu schneien und Frühling werden lassen, oder? Das Schneeschippen und die Kälte werden etwas anstrengend auf die Dauer."
Doch Frau Holle lachte nur ein glockenhelles Lachen und zwinkerte ihnen fröhlich zu. "Tut mir leid. Ein zwei Monate herrscht noch der Winter auf der Erde. Ich kann also für nichts garantieren. Und ihr müsst mir noch eine kurze Zeit meinen Spaß lassen. Hatte lange nicht mehr die Gelegenheit, alles so richtig schön weiß einzufärben. Aber ihr dürft mir glauben, der nächste Frühling kommt bestimmt."
Sie klatschte wieder in die Hände, und noch bevor der Laut verklungen war, saß Hagrid wieder in seiner Hütte auf dem Schlossgelände von Hogwarts, und Ron und Hermine waren zurück in ihrem kleinen, aber gemütlichen Haus in einer muggeligen Vorstadtgegend von London.
Nur Minuten später legte Ron seinen Arm um Hermine und ließ seine Zehen, die in selbstgestrickten Socken von Misses Weasley steckten, vor einem warmen und wohligen Kaminfeuer wackeln. "Sieht aus, als hätten wir zwei diesmal die Welt gerettet!" murmelte er zufrieden und nahm einen tiefen Schluck aus einem Becher heiße Schokolade mit einem Schuss Feuerwhiskey. "Und alles ganz ohne Harrys Hilfe!"
Hermine nickte zustimmend und schaute in ihren eignen Becher und lächelte zufrieden.
*** ENDE ***
[first published January, 21st – 26th 2010]
